In Tirana regiert ein Reformkommunist

Berlin (taz) — Mehr als zwanzig Tage dauerte der Generalstreik in Albanien — nach seinem erfolgreichen Abschluß wird dort nun seit heute wieder gearbeitet. Durchgesetzt werden konnte nicht nur eine 50prozentige Erhöhung der Löhne und Renten, sondern auch die Zahlung von Streikgeldern sowie ein Gesetz über die Zulässigkeit politischer Streiks. Lediglich in einigen Betrieben, in denen die Arbeiter für die Weiterzahlung der Löhne in der Zeit der Arbeitsniederlegungen kämpfen, werden diese fortgesetzt.

Das wichtigste Ergebnis der Protestaktionen ist jedoch ohne Zweifel der Rücktritt von Regierungschef Fatos Nano nur drei Wochen nach seiner Amtsübernahme. Zu seinem Nachfolger konnte Präsident Ramiz Alia nach längerem Suchen den 42jährigen Ernährungsminister Ylli Bufi ernennen, zahlreiche andere Kandidaten hatten unter Verweis auf die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes die Verantwortung kurzerhand abgelehnt. Innerhalb von fünf Tagen muß der neue Regierungschef nun in Zusammenarbeit mit Vertretern aller Parteien eine Koalitionsregierung bilden, die bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Mai oder Juni 1992 die Staatsgeschäfte führen soll. Ylli Bufi gilt in Oppositionskreisen trotz seiner Mitgliedschaft in der KP Albaniens als gemäßigt und kooperationsbereit. Gleichzeitig ist er jedoch der Minister, der für die Versorgungsengpässe und damit die Ursachen des Generalstreiks entscheidende Mitschuld trägt.

Am heutigen Montag beginnt in Tirana der 10. und voraussichtlich letzte Parteitag der albanischen Kommunisten. Bereits im Vorfeld zeichneten sich heftige Diskussionen zwischen Reformern und Konservativen ab. In ihrem Mittelpunkt stehen die Beurteilung des verstorbenen Parteichefs Enver Hodscha sowie die Entlassung der alten Funktionärselite. Das Zentralkommitee der zukünftigen „Sozialistischen Partei Albaniens“ soll sich zu 95 Prozent aus neuen Leuten zusammensetzen. Abschied nehmen wollen die gewendeten Kommunisten vom leninistischen Teil ihrer Ideologie, vom Marxismus sagt man sich dagegen — noch — nicht los. her