Eine Stadt trainiert für Olympia 2000

■ Der Architekt Oliver G. Hamm untersucht die Planungen für die Olympischen Spiele/Teil 1: Verkehrsplanung

Berlin will nicht nur »richtige Hauptstadt« werden, sondern bewirbt sich auch als einzige deutsche Stadt um die Olympischen Spiele im Jahr 2000. Im März dieses Jahres übergab der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitee, Willi Daume, die Bewerbung; im September 1993 wird das Internationale Olympische Komitee die endgültige Entscheidung treffen. Der Stuttgarter Architekt Oliver G. Hamm ist Redakteur der 'deutschen bauzeitung‘ und hat sich intensiv mit Olympia-Planungen und Sportbauten befaßt. Für die taz faßte er den — noch nicht sehr weit — gediehenen Planungsstand zusammen und untersucht in drei Teilen die Auswirkungen auf die Infrastruktur der Stadt. Wir beginnen heute mit der Geschichte der Olympia-Bewerbung und der Verkehrsplanung. Die Serie wird in dieser Woche fortgesetzt.

Spätestens die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 1996 nach Atlanta, USA, hat gezeigt, daß im Medienzeitalter Traditionen nicht mehr viel wert sind. Wegen des 100jährigen Jubiläums der ersten Spiele der Neuzeit 1896 hätten diese eigentlich nur in Athen stattfinden dürfen. Die Entscheidung für die Coca-Cola- Metropole, die eine perfekt organisierte Veranstaltung und satte Gewinne — und nur darauf kommt es dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) an — versprachen, war indirekt auch ein Signal für Berlin. Nicht nur, weil die Preußen-Metropole sich nun schon für die Spiele im Jahr 2000 bewerben kann, da in diesem Jahr wieder eine europäische Stadt Gastgeber der »Jugend der Welt« sein könnte. Vielmehr war das Votum für Atlanta auch ein deutlicher Hinweis darauf, daß nur Bewerber mit überzeugenden Konzepten und einer Reihe erstklassiger Sportstätten eine Chance haben, die Speile zu bekommen. An beidem hapert es aber noch gewaltig in Berlin.

Der »Mauer-Bonus«, der letztlich die Konkurrenten Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart und Ruhrgebiet im Rennen um die Nominierung durch das Nationale Olympische Komitee (NOK) etwas voreilig die Flinte ins Korn werfen ließ, dürfte spätestens im September 1993 wertlos sein. Dann wird das IOC über die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2000 entscheiden. Als Bewerber sind bisher Peking, Brasilia, Sydney, Mailand und Manchester im Gespräch. Die Zeit für Berlin wird also langsam knapp.

Geschichte der Bewerbung

Das war vor zwei Jahren noch ganz anders: Nachdem Ronald Reagan anläßlich seines Besuchs in West-Berlin den damals utopischen Gedanken »Olympischer Speile in beiden Teilen Berlins« in die Öffentlichkeit getragen hatte, rief der Senat im Spätsommer 1989 tatsächlich eine »Projektgruppe Olympische Spiele Berlin 2004« ins Leben — zu einer Zeit, als die Aussichten, die Spiele tatsächlich ausrichten zu können, gleich Null waren. Zwar versuchte der damalige Regierende Bürgermeister Walter Momper, »die Genossen auf der anderen Seite der Mauer« für diese Idee zu gewinnen, doch der greise Erich Honecker konterte mit dem Vorschlag, Leipzig werde sich um die Spiele bewerben.

Trotz der barschen Ablehnung der damaligen DDR-Oberen arbeiteten in West-Berlin rund 50 Personen in verschiedenen Projektgruppen an einer sogenannten »Machbarkeitsstudie«. Sie beschränkten sich auf den Westteil der Stadt, obwohl den Beteiligten damals klar war, daß nur eine gemeinsame Bewerbung beider Teile der Stadt Erfolg versprochen hätte. Der Leiter der Projektgruppe war pikanterweise ein Staatssekretär aus den Reihen der mitregierenden Alternativen Liste: Hans-Jürgen Kuhn. An dieser Person rieben sich schon bald die Gemüter. NOK-Präsident Willi Daume forderte seine Ablösung, und sein Wunsch ging schließlich in Erfüllung. Noch lange vor dem Regierungswechsel in Berlin wurde Kuhn abgelöst.

Die Westberliner Studie, unter Kuhn entstanden, war aber nicht ganz umsonst. Schließlich lieferte sie erste Erkenntnisse, die Auswirkungen auf die Gesamt-Berliner Konzeption haben sollten. Doch zunächst mußte der damalige Ostberliner Magistrat nachziehen. Im Eiltempo ließ dieser eine eigene Machbarkeitsstudie aus dem Boden stampfen. Am 26. Juli 1990 wurde ein gemeinsames »Olympia-Büro Berlin« gegründet, das die Studien beider Teilstädte zusammenführen und ein Konzept für die Bewerbung ausarbeiten sollte.

Das Olympia-Büro, das seit dem Spätsommer 1990 im tristen Hotel Stadt Berlin am Alexanderplatz residiert und von Jürgen Kießling geleitet wird, beauftragte die Freie Planungsgruppe Berlin, eines der größten Stadtplanungs- und Architekturbüros in der Stadt, mit einem Planungsgutachten. Dieses bildete die Grundlage für die nationale Bewerbung Berlins um die Ausrichtung der XXVII. Olympischen Spiele im Jahr 2000, die Eberhard Diepgen, inzwischen wieder Regierender Bürgermeister, am 7. März 1991 dem NOK- Präsidenten Willi Daume überreichen konnte.

Im April gründete der Senat eine eigene Olympia-GmbH und holte sich den ehemaligen IBM-Manager Lutz Grüttke als Geschäftsführer. Der bestbezahlte Angestellte des Landes Berlin soll nun die Bewerbung koordinieren.

Verkehrsplanung für Olympia

Berlin strebt ein »Olympia der kurzen Wege« an. In einem Radius von zehn Kilometern um das Brandenburger Tor, dem symbolischen Mittelpunkt, liegen die Autragungsorte von 21 der 25 olympischen Sportarten. Eine neue Schienen-Schnellverbindung (»Olympia-Expreß«) soll auf vorhandenen Trassen des S-Bahn-Nordrings die Sportstätten und Unterkünfte der »Olympischen Familie« miteinander verbinden.

Die vorliegende Studie kommt zu dem Ergebnis, daß die im Luft- und Straßenverkehr vorhandenen Kapazitäten ausreichen, um die zu erwartenden Besucherströme zu bewältigen. Dabei wird vorausgesetzt, daß zumindest die Flughäfen Tegel und Schönefeld zur Verfügung stehen. Leistungsreserven im Eisenbahnverkehr könnten genutzt werden, um einen großen Teil des Individualverkehrs auf die Schiene zu lenken. Das Park + Ride-System muß ausgebaut, das innerstädtische Fernbahnnetz erneuert und erweitert werden. Während der Spiele soll eine zentrale Verkehr-Leitstelle dafür sorgen, daß die Verkehrsströme wie gewünscht fließen. Auf Standorte im Süden der Innenstadt ist verzichtet worden, weil eine Umsetzung des Verkehrskonzepts auf den Gesamtring bis zum Jahr 2000 unmöglich sei.

Der Olympia-Expreß dient ausschließlich dem Transport der Sportler, Offiziellen und Journalisten. Die Wiederinbetriebnahme der S-Bahnstrecken, insbesondere des Innenrings und der Radialverbindungen in das Umland, bildet das Rückgrat des innerstädtischen Verkehrsangebots. Sie werden durch ein flächendeckendes Busnetz und im Ostteil der Stadt durch ein umfangreiches Straßenbahnnetz ergänzt. Frühere Verbindungen und vorhandene Bahnhöfe des U-Bahnnetzes sollen wiederhergestellt werden. Bis zum Jahr 2000 soll der öffentliche Personenverkehr behindertengerecht gestaltet werden. Die Züge könnten hinterher mit geringem Aufwand umgebaut und in den öffentlichen Personenverkehr eingegliedert werden.