Häuserkampf in den Slums von Managua

Viele Slumviertel in Nicaraguas Hauptstadt stehen auf enteignetem Großgrundbesitz/ Müssen die neuen EigentümerInnen nun weichen?  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Der Kampf um die Häuser und Grundstücke, die während der Revolutionsepoche enteignet und verteilt wurden, ist in Nicaragua erneut ausgebrochen. Auf Druck einer Lobby ehemaliger Villen- und Grundeigentümer hat die Regierungsfraktion im Parlament die Aufhebung zweier Gesetze beantragt, die während der Regierungszeit der Sandinisten Zehntausende Familien zu Hauseigentümern machten. Mit dem Argument, daß die Villen, die sich sandinistische Funktionäre während der Revolutionsjahre widerrechtlich angeeignet hätten, ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden müssen, will das Großbürgertum zehn Jahre sandinistischer Siedlungspolitik rückgängig machen.

Die umstrittene Gesetzgebung schützt in Managua Bezirke wie dem zentral gelegenen „Barrio Jorge Dimitrov“, jüngstes Ziel einer Räumungsdrohung. Dort wurden während eines verheerenden Hochwassers vor neun Jahren Hunderte Familien aus den überfluteten Zonen am Ufer des Managuasees angesiedelt. Der ungesunde, malariaverseuchte Küstenstreifen, der während der Regenzeit alljährlich überschwemmt wird, sollte nicht mehr besiedelt werden. Obwohl die meisten Parzellen wegen bürokratischer Schlampereien noch nicht ins Grundbuch eingetragen sind, können sie vom enteigneten Voreigentümer nicht reklamiert werden. Unmittelbare Gefahr droht hingegen den rund 150 spontanen Siedlungen, die erst nach der sandinistischen Wahlniederlage aus dem Boden geschossen sind. Viele von ihnen haben sich auf brachliegenden Grundstücken breitgemacht, die heute Gold wert sind.

Dona Jenny ist zum ersten Mal in ihrem Leben Hauseigentümerin. Die Mutter von sechs Kindern beteiligte sich im März des Vorjahres an einer Landbesetzung, gleich hinter dem Ivan-Montenegro-Markt im Südosten Managuas. Zwei Wochen nach den Wahlen, die das Ende der zehnjährigen Revolutionsära brachten, nützten über neunhundert Wohnungssuchende die Gunst der Stunde und ließen sich über Nacht auf einer Brachfläche der Gemeinde nieder. Dona Jenny lebte vorher mit vierzehn Familienangehörigen zusammengepfercht bei der Schwiegermutter. Der Nachbar, Paco Fuerte, hatte siebzehn Mitbewohner, bevor er mit seiner Frau und den Kindern auf Haussuche ging. Zu Ehren des internationalen Frauentages wurde die Ansiedlung „barrio 8 de marzo“ getauft. Die neue, konservative Stadtverwaltung war noch nicht im Amt und die scheidende sandinistische sah keine Veranlassung, sich in ihren letzten Amtswochen die Finger mit sozialen Auseinandersetzungen zu verbrennen.

Kurz darauf verabschiedete das damals noch sandinistisch dominierte Parlament die zwei Gesetze Nr. 85 und 86, die nun wieder aufgehoben werden sollen. Allen Mietern, Käufern oder Besetzern von Immobilien im Staatsbesitz wurde daran volles Eigentum zugesprochen. Allerdings deckt diese Gesetzgebung nur jene, die vor der überraschenden Wahlschlappe der Sandinisten bereits das betreffende Haus oder Grundstück bewohnt hatten. Häuser von mehr als 100 Quadratmeter konnten zu einem fast symbolischen Vorzugspreis gekauft werden, alle anderen wechselten schenkungshalber den Eigentümer. Die Gesetze sicherten einer Reihe von Funktionären und Parteileuten, die mit dem Machtwechsel ihre Arbeit verloren, ein Dach über dem Kopf und machte Tausende Arbeiterfamilien, die ihr Haus bei der Bank noch nicht abgezahlt hatten, über Nacht zu Eigentümern.

Nun beharrt der Privatsektor im Namen der Rechtssicherheit auf der Rückgabe aller konfiszierten Güter an die ursprünglichen Eigentümer, auch derjenigen, die in den ersten Revolutionstagen durch die Dekrete 3 und 38, die sich gegen die Familie des Diktators Somoza und deren engste Mitarbeiter richteten, enteignet wurden. Die Sandinisten sehen die Geschenkaktion als längst fälligen Akt der sozialen Umverteilung. „Wenn wir aufrechnen würden, was die Bourgeoisie dem Volk alles gestohlen hat, dann würde sie alles hergeben müssen und noch immer Schulden haben“, wetterte Daniel Ortega kürzlich vor einer Versammlung. Er selbst wäre das prominenteste Opfer im Falle der Aufhebung der Gesetze 85/86. Denn das von ihm bewohnte Haus wurde 1979 dem somozafreundlichen Banker Jaime Morales enteignet, der ins Exil nach Miami floh und jahrelang als Berater des Contra-Direktoriums fungierte. Doch die Ansprüche des Ex-Bankers sind zweifelhaft, weil er sein überschuldetes Haus durch juristische Tricks von der Hypothekenbank gemietet hatte.

In den von der Räumung bedrohten Barrios kennt der Widerstand gegen die Pläne der Stadtverwaltung keine Parteigrenzen. Im Barrio „Jorge Casali“ am nördlichen Rand Managuas sind die Wahlslogans beider Seiten noch nicht entfernt worden. „Wir haben hier nur um 14 Stimmen verloren“, erzählt Dona Laura Ramirez, die FSLN-Delegierte des Bezirks, der damals immerhin 350 Familien umfaßte. Inzwischen sind noch 300 Häuser dazugekommen: illegal gebaut von Familien, die vor dem Machtwechsel noch schnell ein eigenes Dach über dem Kopf haben wollten. Anders als die der alten Siedler werden diese nicht vom Gesetz Nr. 85 geschützt. Doch die politischen Kosten einer Räumung wären hier zu hoch.

Inzwischen haben sogar die Behörden angefangen, den Bezirk durch neue Siedler zu erweitern. Richtung Seeufer wurden in den letzten drei Monaten über zweihundert Familien mit ihrem Hab und Gut abgesetzt, die aus kosmetischen Gründen aus dem Stadtkern vertrieben worden waren. Sie teilen sich den neuen Stadtteil (Waspan Norte) mit ein paar hundert ehemaligen Contras, von denen allerdings erst wenige von ihrer Parzelle Besitz ergriffen haben. Anders als die während der sandinistischen Ära angesiedelten Kleinhäusler müssen die Neuankömmlinge für ihre 180 Quadratmeter große Parzelle bezahlen. Wieviel und zu welchen Bedingungen weiß keiner genau. Umgerechnet 360 Dollar sollen in Monatsraten zu vier Dollar abgestottert werden, glaubt einer zu wissen. „Bisher haben wir keinen Penny bezahlt“, sagt Concepcion Castellon, die sich und ihre drei Kinder mit einem kleinen Gemischtwarenladen ernährt.

Für die aus dem Exil heimgekehrten Hausherren und Grundbesitzer, die jetzt in der Aufbauphase nach dem Krieg das große Geschäft wittern, kam es wie eine kalte Dusche, als Präsidialminister Lacayo Ende Mai kategorisch erklärte, daß kein verteiltes Land zurückgegeben würde. Wer Zweifel habe, solle sich das Programm durchlesen, mit dem die Parteienallianz UNO die Wahlen gewann. Zurückgegeben wird nur enteignetes Gut, das sich noch in Staatshand befindet. Alle anderen, die nach einem Spruch der Revisionskommission zu Unrecht enteignet wurden, haben nur Anspruch auf Entschädigung — durch den Staat.