Gysi sucht den vierten Weg

Aber immer weniger Mitglieder der PDS wollen ihm folgen/ Harte Flügelkämpfe zwischen Traditionalisten und Reformern  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Die Arbeitsgemeinschaft der „Jungen GenossInnen“ in der PDS blies am Sonntag zum Sturm: „Wenn wir als AG zurückblicken, müssen wir anerkennen, in unserem Erneuerungsanspruch für die gesamte PDS gescheitert zu sein.“ In einer Erklärung von ihrem Bundeskongreß am Wochenende zogen die Jung-PDSler ein vernichtendes Resümee: „Mit unserer integratorischen Politik haben wir Polarisierung verhindert und ein Ausbluten der Reformkräfte bewirkt.“

Für die weitere Zusammenarbeit mit der PDS stellte die reformfreudigste der Arbeitsgemeinschaften im Gegenzug Bedingungen: „die Durchbrechung der Schulterschlußmentalität und der Blockade, die eine offene und sicherlich schmerzhafte Aufarbeitung verhindert“, „eine Akzeptanz für selbstbestimmte und emanzipatorische Ansätze“ sowie die „Durchbrechung autoritärer Denk- und Verhaltensmuster“. Deutlich geprägt war die Stellungnahme der AG vom Beschluß des Berliner Landesverbandes vom Vortag, der dem Landesvorsitzenden Wolfram Adolphi nach einer zähen Debatte trotz seiner früheren Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes mit großer Mehrheit das Vertrauen aussprach. Für den Bundeskongreß ein „krasses Kultur- und Ethikdefizit“. Die Drohung der Jungen GenossInnen: Sollten sich ihre Forderungen nicht durchsetzen lassen, „werden wir uns aus den Vorständen zurückziehen und uns auf das eigentliche beschränken, nämlich selbst Alternativen zu praktizieren und etwas Neues zu beginnen“.

Die Botschaft der Arbeitsgemeinschaft schlug auf der Sitzung des PDS-Bundesvorstandes am gleichen Tag wie eine Bombe ein. Tief zerstritten in die Lager der „Traditionalisten“ und der „Erneuerer“, aber im steten Bemühen, das Auseinanderdriften der Flügel zu verhindern, schafften die Jungen GenossInnen im Bundesvorstand das, was sie in ihrer Erklärung als Mangel beklagten hatten: Die Polarisierung.

Wie diffus und desolat die Stimmung in der PDS gegenwärtig ist, beschrieb auch der Parteivorsitzende Gregor Gysi, der die Eckwerte eines Grundsatzreferates vorstellte, das er auf dem Parteitag am übernächsten Wochenende halten will. Reichlich „unterschiedlich“ sei, was ihm derzeit aus der Partei entgegenschlage. Folgt man Gysis Worten, gibt es nahezu nichts, was nicht umstritten ist. So müsse der kommende Parteitag das „Verhältnis zwischen Reform und Revolution“ diskutieren, wie auch die Frage beantworten, ob die PDS eine sozialdemokratische Partei ist oder nicht. Themen des kommenden Parteitages, der ein neues Programm verabschieden soll, werden aber auch die verkrusteten Parteistrukturen, die mangelnde Politikfähigkeit sowie die Fragestellung sein, ob sich die Parteileitung von der Basis entfernt hat. Für Gysi der wichtigste Punkt: die Bewertung der Geschichte der SED und des Staatssicherheitsdienstes für das Selbstverständnis der PDS. Gerade hier stehen sich die Fraktionen unversöhnlich gegenüber.

Die „Radikalreformer“ wollen eine grundsätzliche Debatte darüber, ob nicht das, was unter einer sozialistischen Gesellschaft zu verstehen sei, „von Anfang an ein Fehlversuch gewesen ist“. Ein Ansatz, den die „Traditionalisten“ der PDS entschieden verurteilen. Für sie gilt: „Wir dürfen uns von diesem Versuch nicht distanzieren.“ Die DDR dürfe nicht rückblickend als reaktionär bezeichnet werden.

In einem einzigartigen Spagat versucht Gysi, den Dissens zu überbrücken. Die oberste Integrationsfigur in der PDS setzt bewußt auch ihre eigene Person ein. Gegenwärtig sehe er vier Wege im Umgang untereinander. Vor dem 67köpfigen Vorstandsgremium referierte Gysi, er sehe zum einen die Versuche, sämtliche Widersprüche zu „deckeln“. Andere wiederum hätten begonnen, die Durchsetzung ihrer Positionen zu einer Frage des „Obsiegens oder Unterliegens“ hochzustilisieren. Diese „Reduktion auf den Mechanismus: Wer gewinnt gegen wen“ sei ebenso verheerend wie das Verhalten derjenigen, die bewußt in der Partei darauf zusteuerten, „daß es auseinandergeht“. Der einzige Weg, für den er zur Verfügung stehe, erklärte Gysi, sei der „vierte Weg“: Die verschiedenen Fraktionen müßten „sich bewußt, und in deutlicher Formulierung der Unterschiede, gegenseitig annehmen“. Eine deutliche Mahnung, denn „wenn es so wie bisher weiterläuft“, werde er „die Leitung der Partei abgeben“.

Als Parteichef ist Gregor Gysi nach wie vor unumstritten. Dem Spott kann sich der agile Rechtsanwalt aber nicht entziehen. Einer der Funktionäre aus der Arbeitsgemeinschaft der Junggenossen vermerkte schnippisch, Gysi könne, wenn er so weitermache, das gleiche Schicksal wie Gorbatschow erleiden: „Historisch verdienstvoll — aber objektiv reaktionär“.