CDU-Harmonieverlust in Weimar

Kritik an Generalsekretär Rühe auf dem kleinen Parteitag der CDU in Weimar/ Dennoch überwog das Streben nach Harmonie/ Wirtschaftsprobleme im Osten Deutschlands eingestanden  ■ Aus Weimar Ferdos Forudastan

Innerparteiliche Kritik an der Union ist — wenn auch verhalten — gestern auf einer Sitzung des Bundesausschusses in Weimar laut geworden, wo die Partei eine „Zwischenbilanz“ ihrer Politik im Einigungsprozeß zog. Früher habe die CDU noch „außerhalb der Regierung gedacht und vorgedacht“, beschied etwa der baden-württembergische Delegierte Fritz Tremmel die etwa 150 TeilnehmerInnen. Mit früher meinte er die Zeit, als Heiner Geißler noch CDU- Generalsekretär war. Dessen Nachfolger Volker Rühe warf er „Defizite“ vor. Noch deutlicher wurde Harald Noack, Kreisvorsitzender der CDU Göttingen: Es gebe inzwischen viele Christdemokraten, „die sagen, Volker Rühe könnte als Außenpolitiker mehr leisten denn als Generalsekretär“. Zwar sei die Partei auf dem richtigen Kurs. „Aber die, die den Kurs vertreten, müssen an sich arbeiten, manche müssen ausgewechselt werden.“ Er monierte besonders, daß die Union seit ihrem letzten Parteitag nicht mehr genügend stellvertretende Vorsitzende habe, die ihr ein schärferes Profil geben könnten — etwas, das Helmut Kohl als in eine Koalitionsregierung eingebundener Kanzler nicht zu leisten imstande sei. Wie auch Tremmel warf Noack der Partei überdies vor, daß sie sich schlecht verkaufe. Freilich beklatschte nur ein Teil der Delegierten die beiden Kritiker.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wies alle Vorwürfe an die Adresse der Union heftig zurück. Die Forderungen nach besserer Öffentlichkeitsarbeit und einem schärferen Profil seien „als Heilmittel nicht geeignet“. Schäuble empfahl geradezu Gegenteiliges: Die CDU müsse „standhalten“ und den „Kurs beibehalten“. Es gehe nun darum, den Menschen zu erklären, daß die Politik Zeit brauche. Überdies gelte es, „die Bürger vor überzogenen Hoffnungen zu schützen“.

Wolfgang Schäuble begab sich damit ganz und gar auf die Linie Helmut Kohls. In seiner Rede kurz zuvor hatte der CDU-Chef jede Kritik besonders an der Führung seiner Partei als ungerechtfertigt zurückgewiesen.

Ohne dessen Namen zu nennen, nahm Kohl Generalsekretär Rühe gegen zunehmende Vorwürfe aus der Partei in Schutz. Vor dem Hintergrund der „bitteren“ Wahlniederlagen für die CDU in der letzten Zeit und der kommenden Bundestagswahl gab er eine Stunde lang in verschiedenen Formulierungen immer wieder die gleiche Parole aus: Die Politik der CDU ist gut. Und dies gilt es offensiver als bisher zu vertreten. Die Partei müsse sich stärker den Frauen und den Jungen öffnen. Das neue Grundsatzprogramm müsse offen diskutiert werden.

In seiner sogenannten Bilanz beklagte der Unionschef, daß die Menschen derzeit fast alle Erfolge als selbstverständlich nähmen. Auf die wachsende öffentliche Kritik an der Vereinigungspolitik der Bundesregierung reagierte er knapp und oberflächlich: Man habe „gehandelt, als nur zu handeln war“; eine ganze Reihe der Folgen der Einheit — wie etwa die ökologischen — habe man nicht voraussehen können; zwar habe man bei vielen notwendigen Entscheidungen Fehler gemacht. Doch gebe es trotz alledem Grund für „einen realistischen Optimismus“.

Helmut Kohl, Volker Rühe, Fraktionsvorsitzender Dregger und auch Kurt Biedenkopf lobten ausufernd die „Weimarer Erklärung“ — eine sogenannte Positionsbestimmung der CDU-Politik im deutschen Einigungsprozeß, die die Delegierten zum Schluß des Parteitages einstimmig verabschiedeten. Auch in dem achtseitigen Papier fehlen Selbstkritik und konkrete Vorschläge dafür, wie die aktuellen Probleme gelöst werden könnten, fast völlig. Ungewohnt deutlich ist das Papier lediglich an einer Stelle: „Die Talsohle der wirtschaftlichen Schwierigkeit ist noch nicht durchschritten. Die Überwindung der unvermeidlich hohen Arbeitslosigkeit wird Kraft und Geduld erfordern.“ Ansonsten versichert die CDU wie bisher, es gelte, sich für die neuen Länder unvermindert zu engagieren. Die Infrastruktur müsse ausgebaut, die Investitionen gefördert, die Privatisierung fortgeführt werden...

Obwohl von den CDU-Oberen ausdauernd gelobt, erschienen nur wenige Weimarer Bürger vor dem „Volkshaus“, wo der Parteitag stattfand. Frühmorgens, vor Beginn der Konferenz, hatte Kohl das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald besucht. Knapp eine halbe Stunde Zeit nahm er sich dafür — weniger als für die Visite in einer neuen Getränkeabfüllanlage der Firma Coca- Cola.