Der Bezirk Friedrichshain wird bald westdeutsch

■ Immobilienhaie kaufen sich im Ostteil der Stadt ein/ Die größten Transaktionen der Nachkriegsgeschichte werden vorbereitet/ Für die Käufer sind die Grundstücke interessanter als die daraufstehenden VEBs/ Spekulation angeblich nicht möglich

Die größten Immobilientransaktionen der Nachkriegsgeschichte werden derzeit in Ost-Berlin vorbereitet — von der Öffentlichkeit fast unbemerkt. Nicht nur die volkseigenen Betriebe werden von der Treuhand verkauft, sondern auch die dazugehörigen Grundstücke, die oft genug sehr viel interessanter sind als der heruntergekommene VEB, der darauf steht. Wer welches Grundstück bekommt, wird freilich unter Verschluß gehalten. Dabei tummeln sich im Osten schon jetzt alle bekannten westlichen Immobilienhaie.

Ein lukratives Pflaster ist zum Beispiel das citynahe Friedrichshain. Dort werden weit über zwanzig große Gewerbestandorte privatisiert und danach ausgebaut, erzählt der dortige Baustadtrat Gerd Hannemann (CDU). Dazu gehören der Bereich um den Ostbahnhof und das Ostkreuz. Begehrt ist auch das riesige Gelände des Glühlampenwerkes Narva, das letztes Jahr in Konkurs ging.

Entschieden, sagt Hannemann, sei hier noch nichts. Vorsichtshalber aber untersucht schon mal der Berliner Architekt Jürgen Sawade im Auftrag der Westberliner Klingbeil- Gruppe, was man mit Narva anfangen könnte. Entschieden ist bereits über einige Grundstücke an der Frankfurter Allee, die teils verkauft, teils per Option versprochen wurden. So hat die Treuhand die ehemalige Filter- und Vergaserfabrik an der Frankfurter Allee 69-71 veräußert und zwar an die Münchener Firma Doblinger. Das ist ein Großunternehmen, das letztes Jahr in den Schlagzeilen stand, als es in Bayern 33.000 Wohnungen der Neue-Heimat-Holding BGAG aufkaufte und die Mieten zum Teil verdoppelte. Was die Firma für den über 4.000 Quadratmeter großen Gewerbestandort in Friedrichshain bezahlt hat, kann man nur schätzen: zwischen 300 und 1.000 Mark für den Quadratmeter. Investieren wird Doblinger weitere 100 Millionen Mark, versichert Hannemann.

Bedarf an Vergasern gehe »langfristig« zurück

Das Firmeninteresse gilt jedoch nur dem Grundstück. Zwar hat sich Doblinger vertraglich festgelegt, die Ausbildung der Lehrlinge zu Ende zu führen, langfristig werde jedoch »der Bedarf an Vergasern für den Trabant stark zurückgehen«, wie es Firmensprecher Dr. Drenser mit sanfter Ironie formuliert. Man plane, so Dr. Drenser, dort ein Hotel und eine Ladenpassage, womöglich auch Büros zu errichten. Während Doblinger die Statik der alten Fabrikgebäude auf dem Gelände erst mal prüfen lassen will, rechnet Hannemann mit dem Abriß. Sonst werde das Gelände nicht vollständig ausgenutzt, sagt er. Der Spitzhacke zum Opfer fallen wird neben einigen typischen Ziegelbauten der Jahrhundertwende auch ein nur drei Jahre alter Neubau, der, so Hannemann, »nicht in das Konzept paßt«. Inzwischen überlegt sich Doblinger gar, ob man nicht einige der Wohnhäuser an der Frankfurter Allee abreißen lassen könnte.

Noch wesentlich größer dimensioniert ist ein geplantes Gewerbe- und Dienstleistungszentrum im Bereich um den U- und S-Bahnhof Frankfurter Allee, für das die Firma Philipp Holzmann eine Option vom KOAI-Ausschuß (siehe Kasten) bekommen hat. Gedacht ist an einen Komplex mit zwei Hochhaustürmen und einer Bruttogeschoßfläche von schätzungsweise 150.000 Quadratmetern. Dessen Bau soll etwa 500 Millionen Mark kosten, sagt Hannemann. Holzmanns »Hochtief« ist die größte deutsche Baufirma, die kürzlich gegenüber der Bundesregierung durchsetzen konnte, daß sie mit dem Bau von Tausenden der geplanten russischen Soldatenwohnungen beauftragt wird. Beraten wird Holzmann von der privaten Hamburger Entwicklungsgesellschaft ECE, die in der Hansestadt mehrere große Einkaufspassagen, darunter die Gänsemarktpassage, konzipierte.

Demnächst Studie über Umweltverträglichkeit

Die Planung für den Friedrichshainer Verkehrsknoten kann man übrigens im Gropius-Bau in der Ausstellung Berlin heute besichtigen: Das Architektenbüro SOM (Skidmore, Owings & Merrill) aus Chicago entwarf die Pläne für Holzmann und stellte eine etwas bescheidenere Version dort aus. Wieweit dies alles stadt- und wohnumfeldverträglich ist, wird demnächst in einer städtebaulichen Studie untersucht, die von Hochtief bezahlt wird, sagt Hannemann. Zwar ist dies eigentlich Aufgabe der Kommune, der Baustadtrat hat jedoch keine Bedenken. »Die geben nur das Geld. Was gemacht wird, bestimmen wir«, meint er. Wann die ersten dieser Projekte in Bau gehen, bleibt abzuwarten. In zwei Jahren, schätzt Hannemann, könnte es soweit sein, wenn alle Verwaltungen an einem Tisch sitzen. »Sie sehen ja am KOAI-Ausschuß, daß schnell entschieden werden kann.«

Über weitere Großprojekte verhandelt der KOAI-Ausschuß mit verschiedenen Bewerbern. Dazu gehört das Gelände zwischen dem Café Warschau und dem Restaurant Budapest nahe der Straße der Pariser Kommune. Südlich davon, auf dem Geländer einer stillgelegten Furnierfabrik, plant die Hamburger Garbe KG ein Gewerbe- und Dienstleistungszentrum. Garbe hat bereits eine Option von der Treuhand. Auch an dem Gelände der ehemaligen Weinkellerei an der Leninallee Ecke Friedenstraße soll ein ähnliches Projekt entstehen, das Gelände ist bereits verkauft. Ob diese Masse von Gewerbezentren eine Chance hat, realisiert zu werden, bleibt dahingestellt. Denn wer das alles mieten soll, steht in den Sternen. Womöglich, schätzen Insider, werden erst einmal überall Anträge auf den Kauf eines Grundstücks gestellt. Gebaut werden aber nur einige dieser riesigen Vorhaben.

Appartments und Tiefgaragenplätze

Ebenfalls an der Frankfurter Allee, zwischen Proskauer und Gabelsberger Straße, will ein weiterer bayerischer Baulöwe eine Einkaufspassage errichten: die Firma Schörghuber, auch als Bayerischeo der als Deutsche Hausbau bekannt. Die Hausbau hat vom KOAI-Ausschuß eine Option auf das mehrere tausend Quadratmeter große Grundstück Frankfurter Allee 39-41 bekommen. Im Bezirk Mitte bebaut Schörghuber womöglich noch ein weiteres Filetgrundstück. Dies befürwortet zumindest der KOAI-Ausschuß: Auf dem Platz vor dem Neuen Tor, zwischen Invalidenstraße und Charité, soll die Hausbau zusammen mit der — ebenfalls aus Westdeutschland stammenden — VEBA Wohnstätten AG einen Wohn- und Gewerbekomplex errichten. Dazu gehören Appartements und Tiefgaragenplätze für die Charité. 30.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche, soviel wie das Europacenter, sollen nahe den Resten der alten Berliner Akzisemauer entstehen.

Schörghuber ist jedoch in seiner Münchner Heimat nicht mehr so ganz wohlgelitten, seit es die rot- grüne Stadtregierung gibt. Man prozessiere seit Jahren gegen die Hausbau, berichtet Blume-Beyerle, Büroleiter des dortigen Oberbürgermeisters Kronawitter. Schörghuber — dem unter anderem Zehntausende von Wohnungen, eine Fluggesellschaft und zwei Brauereien gehören — hatte unter der Ägide des damaligen CSU-Bürgermeisters Erich Kiesl ein 60.000 Quadratmeter großes Grundstück erworben. Dies jedoch war weit unter Wert, wie die Stadt hinterher feststellte: Gezahlt wurden 230 Mark pro Quadratmeter, das Gelände sei aber schon damals mehr als doppelt soviel wert gewesen, sagte Blume-Beyerle. Und später wurden Teile davon für fast 1.000 Mark den Quadratmeter verkauft.

Solche Spekulationen mit Grundstücken, versichern Wirtschaftssenator Norbert Meisner und die Treuhand unisono, sollen in Berlin nicht möglich sein. Denn der Investor werde ja verpflichtet, innerhalb einer bestimmen Zeit zu bauen, und sei vertraglich davon abgehalten, das Grundstück mit Gewinn wieder zu verkaufen. Ob dies immer der Fall ist, darf man bezweifeln. So verkaufte die Treuhand ein Grundstück an der Straße der Pariser Kommune nahe der Spree an eine Liechtensteiner Firma. Die wiederum bot das Gelände postwendend auf dem Berliner Grundstücksmarkt an. Bisher jedoch blieb es unveräußert: Das teuerste Angebot, 10.000 Mark den Quadratmeter, war den Liechtensteinern zu wenig. esch