Roßkuren für die Haut

■ Der Bundesverband Neurodermitiskranker sieht die Neurodermitis nicht als Hautkrankheit: Weil die Entgiftung des Körpers nicht richtig funktioniert, treten die Gifte über die Haut nach außen

Trockene Haut hatte Thomas F. schon immer. Solange er ein Kind war, achtete keiner darauf. Mit 16 Jahren kam das Ekzem dann zum Ausbruch: Die Haut wurde rissig, rötete und entzündete sich. Der Juckreiz war unerträglich. Das endogene Ekzem kommt nicht immer zum Ausbruch. Wenn es kommt, weiß niemand warum. Die Veranlagung zu besonders trockener Haut ist erblich bedingt. Manche sagen auch, es ist die Fähigkeit, über die Haut zu entgiften. Der gängigere Name für das Leiden ist Neurodermitis.

Rund drei Millionen Bundesbürger sind davon betroffen. In den neuen Bundesländern ist die Quote wegen der ungleich höheren Belastung der Umwelt rund viermal so hoch, schätzt der Vorsitzende des Bundesverbandes Neurodermitiskranker in Deutschland. Die Zahl steigt jedes Jahr um sieben Prozent.

„Wenn die Leute fürchten, das Ekzem sei ansteckend“

Für Thomas begann mit dem Ausbruch der Neurodermitis eine lange Reise durch die Wartezimmer der Hautärzte. Anfangs noch hoffnungsvoll, nach vielen vergeblichen Versuchen immer resignierter. Die Schulmedizin steht der Neurodermitis hilflos gegenüber. Ihr bleibt der Versuch, zu lindern — der Griff zum Allheilmittel Cortison. Thomas griff über die Jahre immer häufiger zum „Notfallmedikament“, trotz drohender Nebenwirkungen und Langzeitschäden wie dünnere Haut und Knochenveränderungen. Inzwischen ist er 23 Jahre alt. Zu den Belastungen durch Jucken kamen beobachtende Blicke in der Öffentlichkeit, unerwünschte und nutzlose Ratschläge: „Kratz doch einfach nicht mehr, dann heilt es wie von selbst.“ Einmal wurde ihm empfohlen, sich auf Aids untersuchen zu lassen, ein anderer vermutete Syphillis. Dazu Thomas: „Das Schlimmste ist, wenn die Leute fürchten, das Ekzem sei ansteckend.“

Neurodermitis wird als Hautkrankheit behandelt. Nach Ansicht des Bundesverbandes Neurodermitiskranker ist das der falsche Weg. Der Verband definiert die Krankheit als Störung des Immunsystems, bei der Ernährung, Vererbung und Psyche zusammenspielen. Die Entgiftung des Körpers funktioniert nicht richtig, der Stoffwechsel ist gestört. Die Gifte treten dann über die Haut nach außen. Inzwischen werden immer mehr Behandlungsmethoden entwickelt, die diese Vielzahl der Ursachen beobachten.

Immunsystem soll sich durch Heilfasten regenerieren

Von einer neuen Spezialklinik für Neurodermitis, Asthma und Heuschnupfen in Oberbayern erhofft sich Thomas Besserung. Die Ärzte behandeln nach der Naturheilkunde, Homöopathie und pflanzlichen Medikamenten. Wo sich die Schulmedizin auf physikalische und biochemische Eingriffe beschränkt, wird hier versucht, ganzheitlich zu behandeln.

Die Ernährung wird auf Vollwertkost umgestellt, tierische Eiweiße, Zucker und Kakao werden ganz vom Speiseplan gestrichen. Damit will man Lebensmittelallergien feststellen. Das Immunsystem soll sich durch Heilfasten regenerieren. Patentrezepte gibt es bei der Behandlung von Neurodermitikern nicht. Jeder Patient braucht andere Medikamente. Ein Gesprächskreis in der Klinik soll den seelischen Ausgleich schaffen. Patienten erzählen ihre Krankengeschichte und die Probleme, die sie durch die ständig gerötete und entzündete Haut im Alltag haben. Dabei gehen die Ärzte davon aus, daß die psychische Komponente eher die Folge als die Ursache der Krankheit ist. Autogenes Training und Yoga werden zusätzlich angeboten. Heilung versprechen die oberbayerischen Ärzte ihren Patienten nicht. Aufgrund der genetischen Veranlagung ist das nicht möglich. Ziel der Behandlungsmethode ist statt dessen, eine deutliche Besserung bis zur Symptom-Freiheit zu erreichen. Neurodermitiker werden sich aber immer eine bestimmte Disziplin bei der Ernährung und der Hautpflege auferlegen müssen. Verzicht auf bestimmte Lebensmittel wie Kakao, Schweinefleisch und Hefe ist Voraussetzung dafür, daß das Ekzem nicht wieder zurückkehrt.

Neu und einzigartig in der Spezialklinik ist die Fiebertherapie, die der Leiter der Klinik propagiert. Im Fieber ist die Entgiftung des Körpers besonders intensiv. Den Patienten werden Bakterien eingespritzt, damit sie Fieber bekommen. Aufgrund einer Stoffwechselstörung und der unvollständigen Darmflora funktioniert die natürliche Entgiftung nicht.

Der Weg zu einer „normalen Haut“ ist möglich, aber kein Zuckerschlecken: Thomas F. fastete acht Tage lang, bevor er die erste Fieberkur machte. Sie brachte eine Darmentzündung zum Ausbruch, die seit Jahren mit Medikamenten niedergehalten worden waren. Die Narbe einer Blinddarmoperation war nie richtig verheilt. Schmerzen am ganzen Körper fesselten ihn ans Bett. Die Gesichtshaut brach auf und eitrige Flüssigkeit suppte nach außen. Eine Roßkur. Nach vier Wochen traten deutliche Besserungen ein. Ob die Methode bei allen Neurodermitiskranken wirkt, ist offen.

Jede Methode nimmt aber für sich in Anspruch, optimale Erfolge zu erzielen. So auch die autohomologe Immuntherapie (AHIT), wo aus dem Blut und Urin des Neurodermitiserkrankten eine Art Impfstoff, die Hämolyte, hergestellt wird. Laut seines Entdeckers Horst Kief wird die Herstellung des Medikaments je nach Patienten variiert. Das Präparat wird gespritzt. Fast ein Jahr kann es dauern bis eine Besserung eintritt, wenn sie eintritt. Jürgen Pfeiffer, Bundesgeschäftsführer des Neurodermitisverbandes, ist fest von der Wirksamkeit dieser Methode überzeugt. Sein Sohn wurde durch die Kief'sche Methode geheilt. Aber der Haken: Bisher werden die 3.500 Mark Behandlungskosten nur selten von den Krankenkassen erstattet. Ein Problem, das für die meisten Neurodermitis- Heilmethoden gilt. So kämpft auch die Kurklinik, in der sich Thomas F. aufhielt, noch um die Kassen-Anerkennung. Und das, obwohl die Schulmedizin kaum helfen kann.

30 verschiedene Therapieformen für Neurodermitiker

Die Bewertung der psychischen Komponente der Neurodermitis ist sehr unterschiedlich. Wo die einen die Mutter-Kind-Beziehung analysieren wollen, sogar intra-uterine Konflikte vermuten, leugnen die anderen „Heiler“ die psychosomatische Komponente oder halten sie für nebensächlich. An der Universität Marburg werden zum Beispiel die Kommunikationsformen von Neurodermitikern untersucht. Man geht von der Vermutung aus, das besonders negative Umgangsformen etwas mit der Krankheit zu tun haben. An der Uni Kiel dagegen versuchte man, Patienten durch Kratz- und Streßkontrolle zu helfen.

Etwa 30 verschiedene Therapieformen gibt es nach Jürgen Pfeiffer vom Bundesverband Neurodermitiskranker. Daß sich Mediziner, Psychologen, oft genug auch Heilpraktiker und Homöopathen, bei der Erforschung und Behandlung von Neurodermitis noch weitgehend im Dunkeln bewegen, weiß Pfeiffer. „Man hat festgestellt, daß der Neurodermitiker ein saurer Mensch ist, daß heißt, die pH-Werte in Mund- und Darmflora sind wesentlich höher als bei anderen. Bisher kann das kein Mensch erklären.“

Umwelteinflüsse, immer mehr Schadstoffe in der Luft, in Nahrungsmitteln und im Wasser finden noch immer keine Beachtung in der Neurodermitisforschung. Thomas F. ist optimistisch, daß sich die Torturen gelohnt haben. Das Gesicht verheilt wieder, die Haut sieht besser aus, aber gesund ist sie noch nicht. Aus vier Wochen Kuraufenthalt sind acht geworden. Nur ein kleiner Zeitraum, Neurodermitis ist lebenslänglich. Von Karin Mayer