Wird aus Zeiss-Jena die High-Tech-Perle Thüringens?

Treuhand berät über Sanierungskonzept/ Der einstige DDR-Vorzeigebetrieb soll in zwei Firmen aufgeteilt werden/ Lothar Späth versucht Comeback  ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) — Seit bald 150 Jahren steht Carl Zeiss für Spitzenqualität in der Optikbranche. Nun soll die Renommierfirma, nach dem Krieg in das realsozialistische Vorzeigeunternehmen im Jenaer Stammwerk und den kapitalistischen Ableger im schwäbischen Oberkochen gespalten, teilweise wieder zusammenwachsen. Gestern berieten unter Ägide der Berliner Treuhand die ehemaligen Kontrahenten über ein Sanierungsmodell für den heruntergewirtschafteten früheren DDR- Volksbetrieb, den sich der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth ausgedacht hatte. Die Karten für eine einvernehmliche Einigung stehen nicht schlecht, haben doch die thüringische Regierung und die Gewerkschaftsvertreter bereits ihre Zustimmung zu dem Späth-Plan signalisiert. Auch die Oberkochener wollen sich nicht mehr „auseinanderdividieren“ lassen und bezeichneten ihre Vorstellungen als mit dem Sanierungskonzept „weitgehend identisch“.

Gibt die Treuhand „grünes Licht“ für das Zeiss-Modell, dürfte der über seine von der Industrie gesponsorten Reisetätigkeit gestolperte Tausendsassa Späth aus seiner derzeitigen Arbeitslosigkeit auf den Chefsessel der Zeiss-Jenoptik wechseln. Späth, seit zwei Monaten als angeblich ehrenamtlicher Zeiss-Berater des Ministerpräsidenten Josef Duchac (CDU) in Diensten der thüringischen Regierung, will Zeiss-Jena mit rund drei Milliarden D-Mark aus der Treuhandkasse aus dem Sumpf ziehen und die Region zu einem zweiten Hochtechnologie-Musterländle machen. Mit einem Infrastruktur- und Investitionsprogramm für Zeiss, das Späth zur Bedingung gemacht hat, sollen Synergieeffekte entfacht werden. Doch Späths Aufgabe war nicht nur, genügend Kapital aufzutreiben, sondern auch die zerstrittenenen Zeiss-Firmen auf ein gemeinsames Konzept einzuschwören.

Nach zermürbenden Verhandlungsrunden hatten sich die Zeissianer in Ost und West unter Beteiligung der Länder Thüringen und Baden-Württemberg Mitte Mai auf ein Grundkonzept verständigt: Aus dem VEB-Nachfolger Jenoptik Carl Zeiss Jena wird ein zweites Unternehmen, die Carl Zeiss Jena GmbH, herausgeschält, an dem die Oberkochener Zeiss-Werke 51 Prozent der Anteile erhalten sollen, der Rest soll bei Jenoptik verbleiben. Carl Zeiss Jena, so wollen es die Verhandlungsstrategen, wird als selbständiges Unternehmen das Zeiss-Stammgeschäft mit Mikroskopie, Elektronenoptik, Meßtechnik und Augenoptik weiterbetreiben. Die Jenoptik, an der sich auch die Treuhand und Thüringen beteiligen soll, übernimmt die Bereiche Wehrtechnik, Leiterplatten-Fertigung, Forschung und die Herstellung von Ferngläsern und -rohren. Je 5.000 Arbeitskräfte, so glauben die Geschäftsleitungen, können in den beide Jenaer Unternehmen unterkommen; für die rund 14.000 zur Entlassung anstehenden Beschäftigten haben Späth und Duchac bereits halbstaatliche Beschäftigungsgesellschaften verlangt und Qualifizierungsmaßnahmen eingefordert. Der Betriebsrat sieht weit schwärzer und hat bereits 211 Millionen D-Mark für einen Sozialplan verlangt.

Die Jenaer Zeiss-Werke, mit einst 29.000 Beschäftigten größtes Industrieunternehmen Thüringens, stehen seit der Wende vor dem Abgrund: Mit rund 1,3 Mrd. D-Mark Altschulden steckt die High-Tech- Schmiede der SED-Wirtschaftslenker in der Kreide; die gegenwärtig in einer Studie erfaßten Altlasten sind immens; die Zeiss-Märkte im Osten längst zusammengebrochen. Zwei Drittel des Umsatzes wurden mit RGW-Staaten erwirtschaftet. Noch im November vergangenen Jahres wollten sich die Schwesterfirmen in Ost und West vereinigen — bis die Oberkochener Linsenfabrikanten kalte Füße bekamen. Vom bevorstehenden massiven Personalabbau aufgeschreckt, schlug dann der umtriebige Landesvater Josef Duchac zu: Die Landesregierung werde nicht akzeptieren, daß aus Jena eine verlängerte Werkbank von Oberkochen werde, verkündete er. Von der Treuhand verlangte Duchac, das einstige Renommierstück Zeiss zu entschulden und die Anteile auf die Jenaer Zeiss-Stiftung zu übertragen, die von der Landesregierung verwaltet wird. Der damalige Treuhandchef Detlev Rohwedder gab widerstandslos nach, Duchac verkündete „Großes“ für Thüringen — in Oberkochen dagegen kochten die Gemüter über diese „absolute Zumutung“. Denn: Seit es zwei Zeiss-Schwestern gibt, existieren getreu dem Firmengründer Ernst Abbe auch zwei Stiftungen, die nach bundesdeutschem Recht nicht fusionieren können. Und wie sich Zeiss (West) und Zeiss (Ost) in 60 Ländern dieser Welt vor Gerichten stritten, wer das berühmte Warenzeichen benutzen dürfe, geht das Gerangel um die Stiftungshoheit weiter. Für die westdeutschen Zeissianer, die sich laut Bundesgerichtshof-Urteil als Rechtsnachfolger der Zeiss-Werke sehen, ist die Heidenheimer Zeiss-Stiftung, die alle Anteile aus Oberkochen und der Mainzer Schott-Glaswerke besitzt, die Legitimierte. Bei Zeiss-Ost wird arguemtiert, Abbes Satzungsvermächtnis präferiere Jena als Stiftungssitz. Auch die beiden Stiftungen haben inzwischen Verhandlungen über ein gemeinsames Stiftungsdach aufgenommen.

Falls alles nach dem Späth-Plan läuft, könnten die Belegschaften in Ost und West noch einen Strich durch die Rechnung machen, wenn die Geschäftsfelder und Produktionsbereiche zwischen den Standorten aufgeteilt werden. Für den Fall, daß die Westdeutschen nicht auch etwas abtreten, haben die Jenaer bereits mächtig Dampf angedroht.