Italien: Schlappe für die Regierung

Mehrheit bei Referendum für Abschaffung von Stimmenkumulierung und Betrug/ Die Isolierung der Sozialisten schafft neue Spannungen/ Staatspräsident erwägt Auflösung des Parlaments  ■ Aus Rom Werner Raith

Siegesstimmung bei den Promotoren des Wahlrechts-Referendums in Italien; betretene Gesichter vor allem bei jenen, die durch Boykottaufrufe versucht hatten, die Beteiligung unter die notwendigen 50 Prozent zu drücken: Fast zwei Drittel der Wähler haben abgestimmt und mit 95 Prozent „Ja“ entschieden, daß sie künftig statt der ihnen bisher zustehenden vier Stimmen nur noch eine vergeben können.

Die Beschränkung hat große Reichweite: Erschwert wird damit das korrumpierende Klientel-Wesen, dessen „Gibst du mir, geb' ich dir“-System durch die Möglichkeit der Konzentration aller vier Stimmen auf einen Kandidaten stark gefördert wurde: Politiker katapultierten sich nach vorne, indem sie (speziell im volkreichen Süden) den Oberhäuptern von Großfamilien und den Clanbossen Posten für ihre Leute, lukrative Staatsaufträge oder Schutz vor Strafverfolgung versprachen, wenn diese ihnen die Stimmen ihrer zahlreichen Verwandten und Bekannten verschafften. Wollten die „Freunde der Freunde“ (Eigenbezeichnung mafioser Gruppen) einen Politiker ins Parlament hieven, war dies kein Problem — mit Hilfe der von ihnen kontrollierten circa 150.000 Wähler konnten sie 600.000 Stimmen manövrieren, ausreichend für Dutzende von Kandidaten.

Auch die verbreitete Wahlfälschung wird nun erschwert: Der gewählte Kandidat muß namentlich ausgeschrieben werden. Bisher genügten dafür die Listenplatznummern — die aber waren leicht zu fälschen, und den noch immer zahlreichen Analphabeten redeten freundliche „Helfer“ die „richtige“ Nummer schon ein.

Die Volksinitiative war getragen von einer Koalition quer durch die politischen Reihen: linke Christdemokraten, Kommunisten, Grüne, Arbeiter- und Jugendorganisationen. Stärkste Gegner waren konservative Christdemokraten, die separatistisch-rassistischen norditalienischen „Ligen“ und die Sozialisten, deren Chef Bettino Craxi mit bösen Attacken („verfehlt, verfassungswidrig, undemokratisch“) zum Boykott aufgerufen hatte. Bei ihnen, die seit Mitte der 80er Jahre die DC als Hauptnutznießer des Klientelsystems ablösten, ist der Katzenjammer denn auch am größten: Wie man das Ergebnis auch wendet, der Wille des Volkes steht gegen sie, die seit Jahren behaupten, trotz ihrer nur 14 Prozent unfehlbar den Willen der Italiener zu repräsentieren. Als Konsequenz kündigen sie eine verstärkte Opposition innerhalb der von ihnen mitgetragenen Regierung an.

Behend an die Spitze der Bewegung „Reinigt die Politik“ versucht sich dagegen Staatspräsident Cossiga zu setzen: Er hatte in den vergangenen Monaten alles versucht, die alte „erste“ Republik als verfault und erneuerungsunfähig hinzustellen, um im Verein mit Sozialistenchef Craxi ein autoritäres Präsidialsystem zu forcieren. Der Riesenerfolg des Referendums beweist jedoch einen starken Willen zur Reform innerhalb des bestehenden Systems. Und Cossiga hat sich jetzt zum „Garanten des Volkswillens“ ernannt. Als solcher erwog er bereits am Montag, das italienische Parlament aufzulösen, um dem eindeutigen Ausgang des Referendums Rechnung zu tragen. Die Italiener, so Staatspräsident Cossiga, hätten den Wahlmodus abgelehnt, auf dessen Grundlage die gegenwärtige Deputiertenkammer gewählt worden sei. Darauf müsse er Rücksicht nehmen.

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