USA: Anklage gegen Deserteure erhoben

Desertion kann mit der Todesstrafe geahndet werden/ Marines wollten den „American Lifestyle“ nicht verteidigen  ■ Von A. Böhm und H.-H. Kotte

Berlin (taz) — Die Siegesparade in New York hat Erik Larsen am Bildschirm erlebt. Zum Feiern war ihm nicht zumute — und nach Ansicht seiner Vorgesetzten hätte er das auch gar nicht verdient.

Erik Larsen, Reservist der US- Marines und Sohn dänischer Einwanderer, wartet auf einer Militärbasis in North Carolina auf die formale Eröffnung seines Prozesses vor einem Kriegsgericht. Die Anklage gegen den 23jährigen Kalifornier sowie ein zweites Mitglied seiner Einheit, den schwarzen Reservisten Tahan Jones, lautet auf „Desertion in Kriegszeiten“, was nach Paragraph85 des US-Kriegsrechts mit dem Tode bestraft werden kann. Die Anträge der beiden auf Anerkennung als „Gewissensverweigerer“ waren bereits letzten Herbst abgelehnt worden. Als sie sich daraufhin weigerten, mit ihrer Einheit in den Golf zu ziehen, wurden sie zwangsläufig zu Deserteuren.

Dies sind bislang die schwersten Anklagepunkte, die ein Militärgericht gegen Verweigerer aus dem Golfkrieg erhoben hat. Andere Armeeinheiten haben es bei der Anklage gegen Verweigerer auf das „unerlaubte Entfernen von der Truppe“ oder „Desertion zur Vermeidung eines gefährlichen Einsatzes“ bewenden lassen. In der Regel kamen die Betroffenen mit mehrmonatigen Gefängnisstrafen und einer unehrenhaften Entlassung noch relativ glimpflich davon. Nicht so bei den „Few and Proud“, wie sich die Marines selbst nennen.

Daß Larsen und Jones tatsächlich zum Tode verurteilt werden, ist höchst unwahrscheinlich. „Sie benutzen die Drohung zur Abschreckung, weil sich das unter den anderen Verweigerern natürlich rumspricht“, glaubt David Raymond vom „Jones/Larsen Defense Fund“ in San Francisco, „vielleicht geben sie ihnen am Ende zehn oder zwölf Jahre und bezeichnen das als milde Strafe.“

Über die Gesamtzahl der „conscientous objectors“ (COs) und entsprechender Militärgerichtsverfahren gibt es keine zuverlässigen Angaben. Das Pentagon, das die Zahlen wissen müßte, schweigt beharrlich, die Verweigerergruppen sind auf Schätzungen angewiesen, die sie im eigenen Interesse sicher eher nach oben als nach unten abrunden. Ein Sprecher der Gruppe „Hands Off“, die zur Zeit rund 25 Verweigerer und Deserteure in Kriegsgerichtsverfahren betreut, schätzt, daß aufgrund des Golfkrieges zwischen 1.000 bis 2.000 aktive Soldaten und Reservisten sich selbst zu „COs“, zu Gewissensverweigerern, erklärt und entsprechende Anträge gestellt haben.

Viele von ihnen sind Angehörige von Minderheiten oder kommen aus sozial schwachen Familien, die neben ihrem Patriotismus vor allem aus Geldnot bei den Reservisten landeten: Die Armee kompensiert seit Jahren Rekrutierungsprobleme mit Finanzangeboten an Kinder aus sozial schwachen Familien, die aufs College wollen.

Die meisten Verfahren gegen Golfkriegsverweigerer unter den Marines — nach Informationen von — „Hands Off“ sind es bislang zwölf — endeten bislang mit dem sogenannten „plea bargaining“, einem in den USA auch in zivilen Strafprozessen weithin üblichen Geständnishandel: Verteidiger, Richter und Staatsanwalt einigen sich im Vorfeld des Prozesses auf ein Geständnis — oft zu einem minderschweren Anklagepunkt — im Tausch gegen ein „mildes Strafmaß“, was bei den Marines- Verfahren immerhin zwischen acht Monaten und anderthalb Jahren lag.

Larsen selbst hatte sich im April 1986 als 19jähriger zu den US-Marines gemeldet — im Gegensatz zu vielen anderen vor allem aus patriotischen Überzeugung, wie er heute sagt. Nach der dreimonatigen Grundausbildung sei er als „Kampfmaschine“ an das College zurückgekehrt. Sein Patriotismus geriet ins Wanken, als er sich auf dem Campus mit der Geschichte Zentralamerikas und vor allem auch mit der Person des salvadorianischen Erzbischofs Oscar Romero befaßte. Als US-Präsident Bush schließlich während der Golfkrise die amerikanischen Soldaten zur „Verteidigung des American Lifestyle“ aufrief, sei ihm nur noch übel geworden. Larsen reichte bereits seinen Antrag auf Entlassung aus der Armee und Anerkennung als Gewissenverweigerer ein. Sein Anliegen wurde ebenso wie das von Tahan Jones mit dem Hinweis auf „Motive ausschließlich politischer Art“ abgelehnt.

Von da an entwickelten sich die beiden aus Sicht der „Few and Proud“ zu Störfaktoren, auf die die Armee empfindlich reagierte. Jones sprach in den USA auf mehreren Anti-Kriegs-Demonstrationen, Larsen tourte sogar durch Europa, hielt Pressekonferenzen und Redebeiträge — zum Beispiel auf der Anti- Golfkriegs-Demonstration am 24.November in Bonn — gegen die Stationierung von US-Truppen im Golf. Sein Plädoyer gegen den Krieg und gegen die US-amerikanische Politik im Nahen Osten wird er in ein paar Tagen noch einmal vor dem Kriegsgericht halten — vorläufig wohl zum letzten Mal.

Inzwischen hat amnesty international die wegen Desertion zu Haftstrafen von acht und zehn Monaten verurteilten Marines Eric Hayes und Douglas Schiell als „Gewissensgefangene“ adoptiert und fordert deren umgehende Freilassung. Nicht nur die beiden werden die Unterstützung aus dem Ausland dringend nötig haben, denn die öffentliche Resonanz in den USA auf die Prozesse ist gering. An „Operation Desert Storm“ erinnern die meisten Amerikaner in diesen Tagen allenfalls noch ein paar Konfettireste am Rinnstein des Broadway.