OST-WEST-DEBATTE
: Blaue Helme oder blaue Flecken bei der SPD

Dissonanzen auf Parteitag mit Echowirkung/ Reibungspunkte Ostprobleme, Hauptstadt- und Blauhelm-Debatte  ■ Von Thomas Voit

Über eines ließ der jüngste SPD-Parteitag keinen Zweifel aufkommen: Mit der deutschen Einheit ist diese Partei nicht so recht zu beglücken. In der Bremer Stadthalle fand die SPD-Politik, die schon im Bundeswahlkampf so ganz neben dem Lebensgefühl der Menschen in den östlichen Bundesländern lag, ihre Fortsetzung. Damals warnte die SPD mit Lafontaine als Aushängeschild vor den Folgeproblemen der deutschen Einheit, doch die Art und Weise, wie sie dies tat, ließ in ihr eher den Anwalt derer vermuten, die sich diese Lasten lieber erspart hätten. Die Bereitschaft, ihren Einfluß in den alten Bundesländern zu gebrauchen, um durch Teilen die noch bestehende Teilung zu überwinden, vermißte man in den neuen Bundesländern. Genau diese Solidarität forderten die Delegierten aus dem Ostteil des Landes in Bremen. In der Schwerfälligkeit, mit der die SPD auf diese Forderungen reagierte, offenbarte sich ihr Dilemma: Der Grundsatz von der sozialen Gerechtigkeit verpflichtete sie, im Westen Bescheidenheit zugunsten des Ostens anzumahnen und als politische Kraft auch entsprechend zu handeln. Würde die SPD dies tun, wäre ihr Konflikt mit ihrer traditionellen Klientel in den alten Bundesländern sicher. Dessen möchte man sich aber in der vom momentanen Aufwärtstrend bestimmten Gefühlslage scheinbar nicht so recht vergegenwärtigen. So mußten Abgeordnete, die diese unbequemen Fragen anschnitten, zwangsläufig als Störenfriede wirken, auch wenn einige von ihnen später mit überwältigender Mehrheit in die Parteigremien gewählt wurden. Doch dies, so scheint es, diente wohl auch etwas der Beruhigung des aufkommenden schlechten Gewissens.

Der Beobachter aus dem Osten fragte sich indessen besorgt, wann die SPD endlich damit beginnt, die Probleme der Ostländer als die ihrigen anzunehmen, statt als „West“-Partei sich nur daran zu orientieren, was dort vertretbar ist. Politische Schaugefechte mit der Regierungskoalition, so sehr sich die SPD auch darin momentan gefällt, trösten da wenig. So viel anderes hat man ohnehin nicht zu bieten bei der ostdeutschen Problembewältigung.

Die Diskussion sowie das Ergebnis der Abstimmung über den zukünftigen Regierungssitz überraschte dann wohl niemand mehr. Deutlich erkennbar in dieser Frage waren die gegensätzlichen Standpunkte der „West“-SPD-Generation. Willy Brandt, prominentester Vertreter der „alten Herren“, erinnerte an das noch aus der Zeit der Teilung stammende Votum für Berlin. Unterstützung dafür kam von den ostdeutschen Genossen, die in der Entscheidung für Berlin ein eindeutiges Bekenntnis zur Integration der neuen Bundesländer sehen. Die „Enkel“ — repräsentiert im wesentlichen von der „schmucken Ministerpräsidentenriege“ Engholm, Schröder, Lafontaine, Voscherau — schafften den Sprung über den eigenen Schatten nicht. Ihr Bekenntnis zu Bonn erfolgte ausgerechnet unter dem Hinweis auf die enormen Kosten, die man beim Aufbau der neuen Bundesländer viel besser verwenden könnte. Solch wahrhaft solidarischen Töne allerdings ist man im Osten gerade aus dieser SPD-Ecke gar nicht gewöhnt. Die „Enkel“, beim Teilen, besonders wenn es die „eigenen“ Länder negativ betrifft, eher zurückhaltend, dürfen sich also nicht wundern, wenn ihnen diese Argumente im Osten nicht so richtig abgenommen werden. In Bremen aber setzten sie sich mit einer Stimme Mehrheit zugusten Bonns durch. Dieses Ergebnis ist gar keins, denn nun müssen andere entscheiden, worüber sich die Genossen in der SPD nicht einigen konnten.

Doch es kam noch besser: Bei der legendären „Blauhelm-Debatte“ lehrte die SPD selbst den westlichen Verbündeten das Fürchten. Bereits im Vorfeld des Parteitages rückte die Frage nach einem zukünftigen Bundeswehreinsatz außerhalb des Nato-Territoriums und die damit verbundene Grundgesetzänderung auf die politische Tagesordnung des vereinigten Deutschland. Die SPD — noch immer unter dem Schock des Golfkrieges stehend — blieb sich treu. Wieder waren es die „alten Herren“ um Willy Brandt, die zur außenpolitischen Weitsicht in der emotianal geführten Debatte mahnten. Egon Bahr warnte vor dem Rückzug in die innerdeutsche Idylle, das würde den Abschied von langjährigen sozialdemokratischen Visionen, auch der „Pflicht zum Frieden“, bedeuten. Der wiedergewählte Schatzmeister der SPD Klose beschwörte seine Genossen: „Wir sind nicht im Besitz einer besonderen Moral.“ Aber genau dies müssen die in der Partei den Ton angebenden und in der Außenpolitik so gänzlich ohne Erfahrungen argumentierenden „Enkel“ erst noch lernen. Lafontaine warb um Verständnis für die Angst der Deutschen, erneut zu Tätern zu werden, sprach sich aber, und mit ihm die Mehrheit der Delegierten, für eine deutsche Beteiligung an UNO-Blauhelm-Missionen aus. Wieczorek-Zeul ist da ganz anderer Meinung und akzeptiert den Einsatz deutscher Soldaten in „sogenannten“ Friedenstruppen nicht. Im Gegenteil, sie ist stolz auf die Männer, „die während des Golfkrieges ihre Angst vor dem Tod zugaben und damit die Angst vor dem Töten“.

Ihr Ostberliner Genosse Krüger, derzeit Senator für Jugend und Sport im Berliner Senat, wollte auch etwas Kluges beisteuern: Er hätte schon einmal auf dem Marschgepäck gesessen, als junger NVA-Soldat, um in Polen einzumarschieren. „Auch dort sollte der Frieden gesichert werden.“ Er vergleicht die Praxis einer stalinistischen Diktatur mit der UNO.

Die westeuropäischen Verbündeten dürften mit derlei Argumentation in den Reihen einer der stärksten Parteien Deutschlands ihre Schwierigkeiten haben. Vereinzelt trat selbst der Zweifel an deren redlichen Absichten offen zutage. Der südbadische Abgeordnete Erler sprachs aus, was viele SPD-Genossen zu denken scheinen: „...den Amerikanern sei ohnehin nicht zu trauen.“

Der Bremer Parteitag bestätigte also überzeugend: Die SPD tut sich schwer, vom bequemen Sonderstatus der alten Bundesrepublik Abschied zu nehmen.