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Was macht die Sachertorte jüdisch?

■ Nur, daß jüdische Konditorinnen sie gebacken haben?/ Über die Schwierigkeit, jüdische Kultur zu definieren und den Versuch der »Jüdischen Gruppe«, es dennoch zu tun/ Positionen zwischen National- und Multikultur

Berlin. In diesen Tagen gehen die 5. Jüdischen Kulturtage zu Ende — mit einer unverhofften Zusatznachricht. Der Leiter dieser Kulturtage, Dan Lahav, wurde mitten im laufenden Programm wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten gefeuert. Zu befürchten ist gleichermaßen, daß die Gemeinde nun einen labilen Kulturleiter durch einen moralisch gefestigteren ersetzt und anschließend meinen wird, daß jetzt alles ordnungsgemäß weitergehen könne. Dem wäre mitnichten so. Das zusammengewürfelte Programm zeigt, unabhängig von der Qualität einzelner Veranstaltungen, deutlich eines: nämlich die Schwierigkeit, ein- und abgrenzende Kriterien zu finden für das, was jüdische Kultur ausmacht, was jüdische Kultur eigentlich ist.

Ein Beispiel. Drei Abende der Jüdischen Kulturtage wurden mit Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy bestritten. Aber sind seine Lieder, seine Kompositionen jüdisch? Sicher nicht. Mendelssohn- Bartholdy hat genausowenig jüdische Musik geschrieben, wie Einstein eine jüdische Relativitätstheorie erfunden hat. Er wurde auf den Kulturtagen als jüdischer Künstler präsentiert, weil er als Jude geboren wurde. Zwar ließen seine Eltern ihn aufgrund der Judenfeindschaft in Preußen nach der Geburt nicht beschneiden, ihn 1816 taufen und evangelisch erziehen, aber für die Programmgestalter blieb er ein jüdischer Komponist.

Was also ist jüdische Kultur, zumal in Deutschland? Und warum ist es wichtig, sich ihrer anzunehmen, sie wiederzuentdecken? Die Jüdische Gruppe, ein größtenteils nicht der Gemeinde zugehöriger Kreis von rund 100 jüdischen Berliner Intellektuellen, hat sich während einer dreitägigen Veranstaltungsreihe in der Humboldt-Universität Gedanken dazu gemacht. Als Reaktion auf die ihrer Meinung nach »konzeptionell und inhaltlich verfehlten« offiziellen Kulturtage boten sie drei Abende Stoff zum Streiten an. Gibt es eine jüdische Tradition, die heute noch zur Identitätsfindung beiträgt, oder ist die jüdische Kultur zu Kitsch, Nostalgie und Ritualen von Gedenkreden verkommen? Werden die aus der Sowjetunion kommenden Juden hier deutsch assimiliert, oder besteht gerade durch sie die Chance, Elemente der osteuropäischen jüdischen Kultur wieder zu entwickeln? Und nicht zuletzt: Wird nicht die Vielfältigkeit des Judentums durch die bestehende Einheitsgemeinde zerstört, der Pluralismus durch das Funktionärssystem totverwaltet? Geladen hatte die Jüdische Gruppe zu jeder Veranstaltung verschiedene prominente Personen der Opposition, vom Pädagogikprofessor Micha Brumlik aus Frankfurt bis hin zu Mario Offenberg, Sprecher der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel. Vertreter der Jüdischen Gemeinde saßen nicht auf dem Podium, waren nicht gebeten oder hatten im Vorfeld Ablehnung signalisiert.

Einig waren sich die Podiumsteilnehmer abendübergreifend nur in einem. Was die Jüdische Gemeinde als Kultur verkauft, sei keinesfalls Kultur, sondern, wie 'Arsenal‘-Verleger Peter Moses-Krause es zuspitzte, eine ungenießbare Mischung von »gefillte Fisch und Sachertorte«. Was aber jüdische Kultur ist, konnte er auch nicht sagen. Sein Plädoyer, man solle sich heute nicht an die israelische Kultur anlehnen, sondern sich der untergegangenen deutsch- jüdischen Kultur erinnern — von Arnold Zweig bis Jakob Wassermann—, man solle außerdem mit einer Neurezeption über den »Abbruch«, über die Zerstörung des deutschen Judentums hinwegzukommen versuchen, stieß auf heftigsten Widerspruch von Brumlik. Er vertrat die Gegenposition.

Sich der multikulturellen Debatte anschließen

Die Mehrheit der heute in Deutschland lebenden Juden habe mit dem großbürgerlichen Judentum der Weimarer Republik nichts mehr zu tun. Es sei ein »Judentum, tief geschlagen von der Shoa«, das in den vergangenen Jahrzehnten anderes zu tun hatte, als sich um »den Luxus einer florierenden Kultur zu kümmern«. Heute sei dies anders. Die Kultur sei nicht mehr Politik mit anderen Mitteln, sondern die Suche nach einer jüdischen Standortbestimmung. Dabei helfen, meinte Brumlik, nicht Zweig und Wassermann, sondern vielmehr amerikanische, französische und israelische Autoren (Philipp Roth, Alain Finkielkraut u.a.). Die Juden sollten nicht an Nationalkulturen kleben, sondern sich der multi-kulturellen Debatte anschließen.

Diese Position wurde während der Diskussion von dem amerikanisch- jüdischen Klezmer-Klarinettisten Joel Rubin (Gruppe »Brave Old World«) präzisiert: Die Elemente jüdischer Kultur seien in der deutschen Hochkultur, Beispiel Mendelssohn- Bartholdy und Gustav Mahler, nicht mehr herauszufiltern, die jüdische Kultur sei eine Volkskultur, die sich vermische, keine nationalen Grenzen kenne, sich ständig weiterentwickele, alles andere als puristisch sei. Die Mißverständnisse über jüdische Kultur in Deutschland seien von den Zuständigen für Kultur in den Gemeinden selbst verursacht. Zum Beispiel sei im Programm der Kulturtage anstelle authentischer Klezmer-Musik, wie sie von Juden in Amerika und Osteuropa noch gespielt werde, eine peinliche Laien- Folklore angeboten worden, ein Klischee von Stetl-Rabbis mit Bart und Kaftan. Jüdische Kultur, so Rubins Fazit, sei in nichtjüdischen Institutionen oft besser aufgehoben.

Es hätte ein Auftakt zu einer spannenden Debatte über die Schwierigkeiten heutiger jüdischer Identität werden können, über die Kultur als neues Konstitutivum einer in Deutschland wurzellosen und weitgehend säkularisierten Generation.

Diese Möglichkeit wurde aber gründlich versiebt. Denn deutlich wurde an allen drei Abenden vor allem eines: die Schwäche der heterogenen Opposition, die nur in Abgrenzung zum »Berufsjudentum« stark ist. Das Berufsjudentum — hier stand Heinz Galinski als Synonym für den eisernen Besen, den autoritären Führungsstil, der das authentisch »Jüdische« unterdrücke und das intellektuelle Leben verhindere — habe keine Zukunft mehr. Judentum könne nicht verwaltet werden, sondern sei in erster Linie eine Streitkultur, sei pluralistisch, sei eine Lehre der »vielen Stimmen«. So formulierte es Abraham Melzer, Herausgeber der Frankfurter Zeitschrift 'Semit‘. Ihm wurde sekundiert von Mario Offenberg, der mit der Wiederbelebung der »Austrittsgemeinde« Adass Jisroel das Tabu »Einheitsgemeinde« verletzt hat. Aber das Postulat Demokratie und neue Vielfalt, das Motto »Laßt hundert Blumen blühen« (Soziologieprofessor Michael Bodemann) wird für die künftige Ortsbestimmung nicht ausreichen. Die Erfahrung der Shoa, die die Generation Galinskis zusammengehalten hat, läßt sich auf die nachwachsende Generation nicht übertragen. Diese braucht andere Möglichkeiten der Identitätswahrung als nur die Abwehr eines Berufsjudentums der alten Prägung. Die Frage nach der jüdischen Kultur ist in Wirklichkeit die Frage nach dem Selbstverständnis der Jüngeren. Deshalb muß die Debatte weitergehen. Anita Kugler

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