»Die Richterratte wird verrecken«

■ Heinz T.s verzweifelt-wütender Kampf um seine Wohnung/ Einige nennen es »Kohlhaas-Syndrom«, andere »Theorie vom blinden Fleck«/ Lesenswerte Kostproben seiner Briefe aus dem Knast

»Sie können mich nicht beleidigen«, wehrt der Richter, der selbst einmal einen dieser bösen Briefe von Heinz T. erhalten hat, die Beschuldigung des Angeklagten ab. Bei einem anderen Richter war Heinz T. erfolgreicher. Die Justiz ist üblicherweise hart im Nehmen, das bringt der Job mit sich. Hat sie sich jedoch erst einmal entschieden, beleidigt zu sein, gibt es kein Pardon. Das Verfahren wird durchgezogen, koste es, was es wolle. Und es kostet viel.

Heinz T. sei eine umgängliche Person, meinen die Wachtmeister der JVA Tegel. Sie müssen es wissen, denn T. sitzt dort seit 1986 eine sechsjährige Haftstrafe wegen diverser Betrügereien ab. Er hat nur diese Macke mit seiner Wohnung: Er glaubt, sie sei seine Existenz. Psychiater Seidel bescheinigt ihm durchschnittliche Intelligenz, doch wenn es um seine Wohnung gehe, könne T. nicht mehr kritisch denken: »In diesem Bereich hat er einen blinden Fleck.« Züge eines Michael Kohlhaas seien erkennbar.

Die Briefe, die T. zum Beispiel an den Vorsitzenden Richter des Sozialhilfesenats des OVG Berlin, Herrn Dr. Bültmann, schrieb, machen die Theorie vom blinden Fleck äußerst wahrscheinlich. Kostprobe: »Sollte ich meine Wohnung nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel verlieren, [...] die Richterratte vom OVG Dr. Bültmann [...] wird elend verrecken, diese Sau. Eine Kugel fängt das Schwein. Seit wann hat dieses Nazitier das Recht, mir meine Existenz zu vernichten? [...] Der Existenzvernichter Blödmann ist ein Rechtsbeuger und Verleumder vom Feinsten. Ich begehe in Haft die übelsten Taten und schrecke für nichts zurück, wenn ich meine Existenz verliere.«

Solche oder ähnliche Briefe erreichten sämtliche Beteiligten im Kampf um die Wohnung des Heinz T: Die Wohnungsbaugesellschaft, die ihm seine Wohnung nicht sechs Jahre freihalten wollte, ihm aber auch nicht die Untervermietung erlaubte, um so die Mietzahlungen zu sichern; oder die Rechtspflegerin, die den Antrag, die Räumung zu verhindern, ablehnte. Und Richter Bültmann, der das Sozialamt nicht dazu verurteilen mochte, die Miete während T.s Knastaufenthalt zu zahlen: Ein solcher Anspruch sei nur bei vorübergehender Inhaftierung begründet. Die meisten Empfänger dürften die Briefe gähnend in den Papierkorb geworfen haben: »Schon wieder so ein Spinner.« Richter Bültmann hatte schließlich die Faxen dicke und stellte einen Strafantrag. Auch der Staatsanwalt, der wegen der Beleidigungen gegen Heinz T. ermittelte und ihm dies anzeigte, erhielt stets prompt Antwort: »[...] und ich möchte bekunden, daß ich keine Reue zeige, schon damit sie arroganter Vogel so richtig abkotzen [...]« Der Staatsanwalt, jahrelang Sondersachbearbeiter in Sachen T., erstattete ebenfalls eine Strafanzeige. T.s umfängliche Korrespondenz erstaunte einen Wachmeister der JVA: »über den Sozialfonds konnte er nur drei bis vier Briefmarken bekommen.« Eine Gaunerei witternd, beschäftigte sich der Wachmeister, der eigentlich nur überprüfen sollte, ob Briefe strafbaren Inhalts von Heinz T. versandt wurden, eine Weile als Detektiv: »Der lief sogar mit einer Lupe herum und untersuchte die Post von T.«, berichtete ein Kollege als Zeuge vor Gericht. Der eifrige Wachmeister wurde fündig und teilte der Staatsanwaltschaft seinen furchtbaren Verdacht mit: T. habe seine Briefe mit bereits benutzten Briefmarken versehen. Den alten Stempel habe er mit einfachen Mitteln entfernt. Entstandener Schaden: 80 bis 100 Mark. Der Staatsanwalt freute sich und garnierte die Anzeige wegen Beleidigung und Nötigung zusätzlich mit den Straftatbeständen »Wertzeichenfälschung und Betrug«.

Er sei ja als Vorsitzender des Sozialhilfesenats vieles gewöhnt, erklärte Bültmann als Zeuge vor Gericht, aber T.s Briefe hätten den Rahmen gesprengt. Der Vorwurf in einem Brief, er (Bültmann) sei in der Zelle des Gefangenen erschienen und habe 10.000 Mark gefordert für die Entscheidung, sei Anlaß für den Strafantrag gewesen: »Wenn ich da nichts gemacht hätte, wäre mir das nachgehangen.«

Da der Fall nun einmal auf ihrem Tisch gelandet ist, nehmen die Richter die Beweismittel mit gebührender Sorgfalt unter die Lupe: Eine Batterie Gutachter wird beschäftigt, um nachzuweisen, daß die Briefmarken auf den ca. 100 Briefen, die T. an Gerichte, Behörden, Wohnungsbaugesellschaften und andere Beteiligte geschickt hatte, Spuren alter Stempel aufweisen. Verteidiger Eisenberg macht dazu folgende Rechnung auf: Das Verfahren nehme fünf Verhandlungstage in Anspruch, an denen ein Staatsanwalt, drei Berufsrichter, ein Rechtsanwalt, ein Psychiater, vier Polizeigutachter und weitere Justizbedienstete teilnehmen. Geschätzte Kosten jedes einzelnen Verhandlungstages: 5.000 Mark. Geschätzte Kosten allein der Gutachten: 5.000 Mark. Eisenberg sucht diese Verschwendung staatlicher Gelder durch einen pragmatischen Antrag zu beenden: für jede Briefmarke und jeden Brief beleidigenden Inhalts ein Tag Knast. Gegen T. liegen neun Anklageschriften vor, die eine Haftstrafe von etwa fünf Jahren befürchten lassen. Das Gericht lehnt den Antrag des Verteidigers ab.

Der Vortrag des Psychiaters gefällt den Richtern wenig. Eine milde Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit ließe den ganzen Aufwand doch ein wenig übertrieben erscheinen: »Der Angeklagte ist erregt, wenn er sich mit Beamten und Sozialarbeitern über seine Wohnung unterhält, gut. Aber es vergeht doch Zeit zwischen einem Gespräch und dem Moment, an dem er seine Schreibmaschine hervorholt und schreibt. Tritt da nicht eine gewisse Beruhigung ein?« will ein Richter wissen. Nein, meint Psychiater Seidel, T. beschäftige sich unentwegt mit seiner Wohnung. Beim Schreiben komme es dann zu »eruptiven Ausbrüchen«, was eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht ausschließe. Der Verteidiger beantragt eine »psychologische und psychoanalytische Begutachtung, weil der Angeklagte an einem Michael-Kohlhaas-Syndrom leidet und deshalb schuldunfähig ist«. Das Gericht zieht sich zu einer kurzen Beratung zurück und verkündet dann: »Das Strafverfahren wird ausgesetzt, damit der Angeklagte ergänzend auf seine Schuldfähigkeit untersucht werden kann.« Koste es, was es wolle. Anja Seeliger