Rußland schleppt sich vorwärts

■ Können Gorbatschow und Jelzin nach der Wahl einen gemeinsamen Nenner finden?

Rußland schleppt sich vorwärts Können Gorbatschow und Jelzin nach der Wahl einen gemeinsamen Nenner finden?

Rußland hat sich entschieden. Mit überwältigender Mehrheit schickte die Bevölkerung der Russischen Föderation die Statthalter des alten Regimes in die Wüste. Die großen Städte wählten radikaler als die Provinz. Aber das ist schließlich überall so. Selbst in der „Grafschaft“ des Vorsitzenden der Russischen KP Iwan Poloskow im Gebiet Krasnodar entschieden sich 46 Prozent der Wähler für Jelzin. Versuche der beharrenden Kräfte, die Bevölkerung durch „kleine Aufmerksamkeiten“ wohlzustimmen, blieben erfolglos. Die Russen wollen jetzt mehr. Das bewiesen auch die Moskauer durch die Wiederwahl ihres alten Bürgermeisters Gawriil Popow. Das will in der Tat etwas heißen: Denn nie haben die Hauptstädter schlechter gelebt als in Popows einjähriger Amtszeit. Die WählerInnen verpaßten ihm dafür keinen Denkzettel, statt dessen haben sie begriffen, daß die Mißerfolge nicht ihm zuzuschreiben waren. Rußland schleppt sich vorwärts — wenn auch mühsam.

Alles hängt jetzt davon ab, ob Gorbatschow und Jelzin wirklich in der Lage sind, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Wie kann ein Kompromiß zwischen Gorbatschows Festhalten an der sowjetischen Großmachtrolle und Jelzins russischer Souveränität aussehen? Erste Signale schickte kürzlich Gorbatschows Berater Schachnasarow: Ein Zentrum, das im Widerspruch zu Rußland stünde und von ihm isoliert sei, gäbe es nicht. Ein praktischer Schritt, die Händel zu überwinden, war schon das Abkommen von Nowo-Ogarjewo, wo sich das Zentrum und neun Republiken zu gemeinsamem Vorgehen verpflichteten. Dieses Übereinkommen sollte so schnell wie möglich mit Leben erfüllt werden. Gorbatschow muß den Republiken die versprochenen Kompetenzen auch wirklich übertragen. Und sie haben ihrerseits die übergeordneten Aufgaben des Zentrums zu akzeptieren.

Nur wenn das gelingt, kann Gorbatschow weiter eine maßgebende Rolle in der Politik spielen. Er scheint begriffen zu haben, daß sein Schicksal mit dem Erfolg Jelzins aufs engste verknüpft ist. Daher hat er sich auch wohlweislich aus dem Wahlkampf seiner Parteigenossen herausgehalten. Seine zukünftige Rolle wäre die eines Mittlers zwischen den Interessen des Zentrums und denen der Republiken. Die Republiken müssen sich mit Gorbatschow arrangieren, da es zu ihm im Lager der Unionsbewahrer keine wirkliche Alternative gibt. Die Wahlen haben gezeigt, daß die Machtbasis der Hardliner dahinschwindet.

Mit Sicherheit werden Armee, Bürokratie und KGB noch einmal zu einer Gegenoffensive blasen. Dem gilt es jetzt durch Kooperation mit den legitimierten Republiksführungen vorzubeugen. Gelingt das, wird demnächst auch die Unionsregierung unter Pawlow das Handtuch werfen müssen. Der Einzeller KPdSU wird das nicht überleben. Die Abspaltung einer sozialdemokratischen Partei steht ihr ins Haus. Das Volk will es so. Klaus-Helge Donath, Moskau