China: Das Tanzfest als Systemveränderung

Der Ball der „friedlichen Evolution“ der Auslandskorrespondenten in Peking macht die Behörden nervös  ■ Aus Peking Boris Gregor

Kann ein Haufen bulettenkauender, biertrinkender und nach westlicher Musik hin- und herzappelnder Langnasen die Sicherheit eines Landes mit 5.000jähriger Geschichte, 1,1 Milliarden EinwohnerInnen, einer relativ gut ausgerüsteten Armee und einer ideologisch stramm ausgerichteten Kommunistischen Partei gefährden? Die Frage klingt abstrus. Doch sie stellt sich derzeit im Reich der Mitte, und sie muß mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Bei den Langnasen handelt es sich um die in Peking akkreditierten ausländischen JournalistInnen, ein von ihrem Verein, dem „Foreign Correspondents Club“ (FCC), geplantes Tanzfest für das kommende Wochenende untersagten die hauptstädtischen Sicherheitsbehörden mit der Begründung, die Veranstaltung sei „darauf gerichtet, das System des Landes zu verändern“. Für das grotesk anmutende Tanzverbot in einem der Pekinger Joint- venture-Hotels gibt es mehrere Ursachen: Die Nervosität der Polizei vor und nach dem 4.Juni, dem zweiten Jahrestag des Tiananmen-Massakers, und die Neigung der KorrespondentInnen zu Witzen, die Einheimische nicht verstehen können.

Das Fest nannte der FCC nämlich ironisch den „Ball der friedlichen Evolution“. Das klingt in den Ohren chinesischer Staatsschützer ungefähr so, wie es für das Bundeskriminalamt klingen würde, wenn ehemalige Stasi-AgentInnen ihre KampfgenossInnen zu einem Treffen der „fröhlich knatternden Kalaschnikow“ nach Bonn rufen würden. Folge: noch größere Nervosität, hektische Agententätigkeit und schließlich das Verbot. „Friedliche Evolution“ ist den chinesischen KommunistInnen ein Greuel. Sie verbinden mit diesem Propagandaschlagwort alle schlechten Einflüsse, die durch AusländerInnen nach China hereingebracht werden, um die KP zu stürzen und das Land in ein Chaos versinken zu lassen. Hinzu kommt, daß ausländische JournalistInnen für die FunktionärInnen ein rotes Tuch sind. Laut 'Volkszeitung‘ am Anfang der Woche stiften sie StudentInnen zu Unruhen an, berichten falsch und verbreiten Gerüchte. Über die BBC und die Voice of America ärgerten sich mittlerweile viele HochschülerInnen, stellte das Parteiorgan fest. Der abgesagte Ball ist nicht die einzige Aktivität der KorrespondentInnen, die das Sicherheitsbüro in den letzten Tagen behinderte oder gar nicht erst zuließ. Ebensolche Aufmerksamkeit und sogar „Begleitung“ von Sicherheitsagenten bekamen westliche Presseleute, die am 4.Juni an der Peking „Beida“-Universität über mögliche Protestaktionen berichten wollten. Ein Vortrag des amerikanischen Sinologen Orville Schell wurde auf Geheiß des „Büros für öffentliche Sicherheit“ gestrichen.