Die Geduld der Kameruner ist zu Ende

■ Die Opposition fordert ein Ende der Herrschaft der Einheitspartei und eine Nationale Konferenz nach dem Vorbild Benins und Kongos/ Seit März Kleinhändler und StudentInnen im Aufstand/ Universität in Jaunde ist ein Zentrum des Protestes

Jaunde/Hamburg (taz) — Tausende von StudentInnen drängen sich auf einem matschigen Platz nahe der Universität in Kameruns Hauptstadt Jaunde. Die Stimmung ist euphorisch, denn soeben haben rund 20.000 Menschen auf dem Campus für Demokratie und bessere Studienbedingungen demonstriert, ohne daß Militär oder Polizei eingeschritten sind. Das hatte es während der letzten Monate noch nicht gegeben.

Die StudentInnen stimmen die Nationalhymne an. Einmütig beschließen sie einen erneuten Streik, da sich die Behörden weigern, ihre während der vergangenen Wochen verhafteten Kommilitionen freizulassen. Redner, die sich ohne Verstärker an die aufmerksam lauschenden ZuhörerInnen wenden müssen, beschwören die studentische Solidarität und fordern zu Gewaltlosigkeit auf. Immer wieder erheben sich unzählige Fäuste als Zeichen der Zustimmung.

Kurz vor Einbruch der Dämmerung, gerade als sich die Versammlung auflösen will, schlagen ohne Vorwarnung Tränengasgranaten ein. Schwerbewaffnete Soldaten stürmen den Platz. Panisch setzt sich die Menge in Bewegung, man hört Schüsse. In Todesangst versuchen die StudentInnen zu entkommen. Etliche fallen hin, werden von den Massen erdrückt. Viele rennen in den nahegelegenen Sumpf, andere werden von KommilitonInnen in ihren Zimmern versteckt. Das ganze Viertel ist in Angst und Schrecken, denn schon früher sind Soldaten willkürlich in Wohnungen eingedrungen und haben StudentInnen abgeführt.

Die Zahl der an diesem Tag Getöteten, Verletzten und Verhafteten bleibt unklar. Später werden vier Todesfälle zugegeben, die Opposition spricht von über 20 Toten. Am nächsten Morgen packen die meisten StudentInnen panikartig ihre Sachen und fahren in ihre Heimatdörfer.

All dies hat sich bereits am 6.Mai zugetragen, doch es ist typisch für viele ähnliche Vorkommnisse in Kamerun in diesem Frühjahr. Seit März befinden sich die StudentInnen, aber auch Taxifahrer, Kleinhändler, Marktfrauen und andere Bevölkerungsgruppen fast permanent im Aufstand gegen das Biya-Regime. Zu lange hat sie der seit 1982 autokratisch regierende Herrscher mit Versprechungen hingehalten. Ihre Geduld ist am Ende. Die mittlerweile 21 Oppositionsgruppen und die Bevölkerung fordern eine nationale Konferenz nach dem Vorbild Benins und Kongos. Es soll endlich Schluß sein mit der Alleinherrschaft der früheren Einheitspartei „Demokratische Bewegung des Kamerunischen Volkes“ (RDPC).

Für den 16.Mai hatte die Opposition zur Untermauerung ihrer Forderung wieder zum Generalstreik aufgerufen. In Duala, der Wirtschaftsmetropole des Landes, und in den englischsprachigen Provinzen Westkameruns standen daraufhin fast alle Räder still. Die Regierung demonstrierte Härte und schlug die Proteste nieder. In Duala geriet die Situation außer Kontrolle. An Barrikaden wurden Streikbrecher bedroht. Auch in anderen Teilen des Landes hat die Opposition zunehmend Schwierigkeiten, die wachsende Wut in der Bevölkerung nicht ausufern zu lassen. Bereits im April war ein Student von oppositionellen Kommilitonen wegen angeblichen Verrats in seinem Zimmer verbrannt worden.

Dies benutzt die Regierung nun als Argument für ihr hartes Vorgehen gegen die StudentInnen der Gruppe „Parlament“, dem Forum, in dem mehrere tausend ProtestiererInnen allabendlich über neue Aktionen und Forderungen debattieren. Führende Mitglieder dieser Gruppe konnten sich vor kurzem einer Verhaftung nur durch die Flucht in die EG-Vertretung in Jaunde entziehen. Der Anführer der „Parlamentarier“, ein Student, der allgemein nur „General Schwarzkopf“ genannt wird, befindet sich seit Ende Mai in Haft. Er soll gefoltert worden sein.

Die Opposition, die dem Präsidenten eine neue Frist bis zum 13.Juni zur Erfüllung ihrer Forderungen gesetzt hatte, trifft sich in diesen Tagen zur Vorbereitung einer neuen Mobilisierungswelle. Derweil haben die Vorlesungen offiziell wieder begonnen. Die diesjährigen Examensprüfungen drohen zu scheitern. Den StudentInnen würde ein ganzes Jahr verloren gehen.

Regierungsfreundliche Kreise versuchen, ethnische Konflikte zu fördern und für sich zu nutzen. Schon haben Trupps bewaffneter Angehöriger des Beti-Volkes, zu dem auch Biya gehört, den Campus heimgesucht und Jagd gemacht auf „Parlamentarier“, die zu den in Kamerun wirtschaftlich einflußreichen Bamileke gehören oder aus dem englischsprachigen Landesteil stammen. Letzterer ist eine Keimzelle der Opposition, unter anderem weil Westkamerun seit der 1961 erfolgten Wiedervereinigung mit dem zwischen 1916 und 1960 französisch kolonisierten größeren Ostkamerun zunehmend marginalisiert worden ist.

Mittendrin in dieser unsicheren Situation sitzen auch fünf deutsche StudentInnen. Sie verbringen zur Zeit ein Jahr ihres Geschichtsstudiums an der Universität Jaunde. Bereits seit 1985 besteht diese vom Deutschen Akademischen Austauschdienst geförderte Möglichkeit. Sie fühlen sich sehr betroffen, dennoch sind sie entschlossen, bis August in Kamerun auszuharren. Thomas Mösch/Marie Flavius