Der Iran im Spagat zwischen Satan und Mullahs

Die Rolle des „Bad Guy“ hat der Iran an den Irak abgegeben/ Öffnung nach Westen ohne innenpolitische Liberalisierung  ■ Von Massoud Mari

Berlin (taz) — Auf den ersten Blick mag es wie eine Versöhnunggeste ausgesehen haben, auf den zweiten erwies es sich als rein wirtschaftliches Kalkül: Als Irans Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani vor kurzem Exiliraner aufrief, in die Heimat zurückzukehren, hat er vor allen Dingen an den ökonomischen Nutzen gedacht, den die zum Teil gut qualifizierten Auslandsiraner dem wirtschaftlich gebeutelten Land bringen würden — nicht aber an den innenpolitischen Ärger, den er damit auslöste. Rafsandschanis größter Kontrahent, Ahmed Khomeini, Sohn des Revolutionsführers, kritisierte öffentlich die Politik des Präsidenten in bis dahin nicht gekannter Weise. In der iranischen Tageszeitung 'Keyhan‘ vom 20.Mai 1991 bezichtigte er den Präsididenten, gegen die Prinzipien seines Vaters zu verstoßen. Die Heimkehrer, darunter 100 Ärzte aus Deutschland, warnte Khomeini unverhohlen, sich in jedem Fall dem Islam zu unterwerfen und sich loyal zur islamischen Republik zu verhalten.

Der Zeitpunkt der Attacke, Ende Mai, war gut gewählt: Man befand sich inmitten der Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten für den zweiten Jahrestages des Todes des Revolutionsführers, der am 4.Juni 1989 starb. Am Tag der Trauerfeier waren Hunderttausende auf den Straßen. Seit seinem Tod ist Khomeini zum Mythos und damit unantastbar geworden. Der Streit um sein geistiges Erbe kann für den potentiellen Verlierer gefährlich werden.

Zwei Jahre nach Khomeinis Tod sind die Fraktionen unter den iranischen Machthabern zerstrittener, die Bevölkerung unzufriedener, aber auch unruhiger denn je. Dabei war es Rafsandschani durchaus gelungen, Vertreter des radikalen Flügels von einflußreichen Posten abzulösen und seine politischen Gegner während der Golfkrise und dem Golfkrieg ins Abseits zu drängen. Doch nachdem Saddam Hussein im Irak nach dem Krieg an der Macht blieb und den Aufstand der Schiiten im Südirak trotz Teherans Unterstützung durch Tausende von iranischen Revolutionsgardisten niederschlug, brachen im Iran die internen Konflikte wieder in aller Schärfe hervor.

Die Fraktionierung mag die Mullahs politisch angreifbarer machen, eine Verbesserung der Menschenrechtssituation bedeutet sie nicht. So verkündete im Mai Ayatollah Mohamed Yazdi, Chef der iranischen Gerichtsbarkeit, in einem Radiointerview lakonisch die Exekution mehrerer Angehöriger des Klerus in der heiligen Stadt Ghom, ohne Namen oder Anklagepunkte zu nennen.

Opfer von Hinrichtungswellen waren nach Informationen von Amnesty International (ai) in der letzten Zeit auch Mitglieder der „Balouch National Organisation“, die für die Anerkennung der Belutschen, einer sunnitischen Minderheit im Süden des Irans kämpfen. Die meisten wurden wegen Schmuggels angeklagt und zum Tode verurteilt — ein Tatbestand, der häufig als Legitimation für Todesurteile herangezogen wird.

Trotzdem wird unter der Bevölkerung Widerspruch und Unmut lauter — in Form von Demonstrationen gegen die Regierung, aber auch in Form von Verweigerung bei traditionellen Propagandafeiern. So war die Beteiligung an den diesjährigen Feiern zum Tag der Revolution am 11. Februar deutlich geringer als in den Jahren zuvor.

Bereits im Oktober und November letzten Jahres war es zu Demonstrationen gegen die Regierung in Teheran, Hamadan, Shiraz, Isfahan und anderen Städten gekommen. Frauen „verletzen“ demonstrativ die Kleidungsvorschriften, obwohl sie nach wie vor riskieren, auf der Straße verhaftet und ausgepeitscht zu werden. Immerhin können sie sich nun von den drohenden Peitschenhieben freikaufen: Für 10.000 Toman (100 Dollar) pro Hieb.

Daß diese Signale latenter Unruhe und Protestbereitschaft kurzfristig politische Folgen haben werden, ist jedoch zweifelhaft. Rafsandschanis Kurs stützt sich zwar auf eine Öffnung dem Westen gegenüber, ohne die das Land wirtschaftlich nicht überleben dürfte, doch eine innenpolitische Liberalisierung steht nicht auf dem Programm, zumal diese die Kontrahenten des radikalen Flügels zusätzlich aufbringen würde.

Erste Pluspunkte dank seiner Außenpolitik kann der Staatspräsident schon verbuchen: Mit Beginn der Golfkrise konnte er die Rolle des „Bad Guy“ auf der internationalen Bühne an den Irak weitergeben. Durch wirtschaftliche Verknüpfungen vor allem mit der Bundesrepublik, aber auch durch die Erlaubnis, Bundeswehrsoldaten, und damit Verbündete des ehemaligen „Satans“ USA, zur Versorgung der kurdischen Flüchtlinge ins Land zu lassen, hat er seine Akzeptanz im Westen sichtbar erhöht.

Im eigenen Land hat dieser Schritt, ähnlich wie sein Appell an die Auslandsiraner, massive Irritationen und zum Teil offene Kritik ausgelöst. Doch den Vorwurf, wieder einmal gegen Khomeinis Prinzipien verstoßen zu haben, hat Rafsandschani jüngst in einer Freitagspredigt geschickt gekontert. Nicht der Iran habe seine Position gegenüber dem Westen geändert, sondern der Westen, allen voran die USA, gegenüber dem Iran. Dabei habe die USA, so Rafsandschani, vor allem das Ziel, „uns zu spalten, wobei ihnen einige aus unseren Reihen auch noch helfen“. Dies war eine unmißverständliche Antwort auf die Hardliner — auch auf Ahmed Khomeini. Zumindest im öffentlichen Umgang mit innenpolitischen Gegnern befolgt Rafsandschani genau die Prinzipien des vor zwei Jahren verstorbenen Revolutionsführers: Auch der nannte seine Widersacher nie öffentlich beim Namen.