INTERVIEW
: „Unser nationaler Frauenstreik — das wird ganz sicher kein Muttertag“

■ Elfie Schöpf, nationale Koordinatorin des Frauenstreiks beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, über die Bewegung, die sich bis in die hintersten Alpentäler ausgebreitet hat

taz: Wie ist die Idee zu diesem landesweiten Streik entstanden und um welche Forderungen geht es?

Elfie Schöpf: Es waren Uhrenarbeiterinnen, die schon mehrmals versucht haben, über den Mantelvertrag ihre Forderungen nach gleichem Lohn durchzusetzen. In dieser Branche gibt es effektiv noch Frauen, die für die gleiche Arbeit im Monat bis zu 900 Franken weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Denen ist einfach irgendwann der Kragen geplatzt. Beim Frauenstreik geht es um den Grundsatz der Gleichstellung der Frau, den wir seit zehn Jahren auf dem Papier haben, aber in der Praxis nie umgesetzt wurde. Immer noch verdienen in der Schweiz Frauen durchschnittlich 30 Prozent weniger als Männer, nach wie vor wird die Leistung der Mutter und Hausfrau von den Sozialversicherungen nicht anerkannt. Bei Ehescheidungen ist es die Frau, die später bei der Rente das Nachsehen hat. Haushaltssorgen sind immer noch Frauensorgen. Und Frauen in leitenden Positionen sind — wie bei Ihnen wohl auch — immer noch die Ausnahme.

Die Schweiz hat nicht gerade eine Streiktradition...

Also ein Streik, das ist hier einfach etwas Unerhörtes. Weil wir bei uns schon seit mehreren Jahrzehnten diesen sogenannten Arbeitsfrieden haben, ist schon das Wort „Streik“ eine Sensation für sich.

Welche Reaktionen gab es auf den Vorschlag eines nationalen Frauenstreiks?

Da gab es schon einige Diskussionen, auch in den Gewerkschaften selbst. Durchgeboxt wurde der Streik ja zuerst durch eine sehr männerdominierte Gewerkschaft, die Metallergewerkschaft. Da haben die Männer schließlich zugesagt. Anschließend ging es darum, die Idee beim Gewerkschaftsbund, dem Dachverband der meisten Gewerkschaften, durchzubringen. Und bei dem Kongreß gab es schon einiges Murren. Da auch der Dachverband von Männern dominiert ist, ist das alles schon erstaunlich. Aber schließlich haben sie doch zugestimmt.

Steckt hinter dem Umschwung beim Gewerkschaftsbund nicht auch die Aussicht auf neue Mitglieder?

Sicher. In einigen Gewerkschaften sind es seit einigen Jahren mehrheitlich Frauen, die neu beitreten. Und diesem Trend wollte man schon etwas Rechnung tragen.

Manche Arbeitgeber haben ihren Mitarbeiterinnen für den 14. Juni schon mal prophylaktisch freigegeben. Haben die solche Angst vor dem Streik?

Einige Arbeitgeber haben inzwischen gemerkt, daß sie nicht unbedingt auf Sympathie stoßen, wenn sie den Frauen drohen. Der Arbeitsmarkt in der Schweiz läßt so etwas gar nicht zu, schließlich haben wir nur 1,4 Prozent Arbeitslose. Spitäler zum Beispiel sind total auf die Frauen angewiesen. Die können es sich gar nicht leisten, etwas gegen die Frauen zu unternehmen.

Wie ist Ihre Prognose für den Streiktag?

Das Fernsehen hat eine Repräsentativumfrage gemacht und herausgefunden, daß 64 Prozent der Schweizerinnen wissen, um was es geht bei diesem Streik, und daß 16 Prozent aktiv mitmachen werden. Wir hier im Streikbüro haben längst nicht mehr alles im Griff. Dauernd klingelt das Telefon. Und selbst aus den hintersten Dörfern rufen noch Frauen an, die was machen wollen.

16 Prozent, das ist ja wohl nur eine Minderheit...

Am Freitag werden 300- bis 400.000 Frauen auf die Straße gehen, zwar nicht geballt, sondern dezentral, aber immerhin, die werden auf der Straße sein. Das hat es in der Schweiz noch nicht gegeben.

Im Moment sieht es so aus, daß der Streik vor allem von Frauen aus der Mittelschicht getragen wird. Aber Ausländerinnen, Frauen in den unteren Lohnklassen und Frauen in so typischen Berufen wie Sekretärinnen werden sich kaum daran beteiligen, oder?

Da haben Sie recht. Viele Arbeitgeber haben im Vorfeld mit Repressalien gedroht. Hinzu kommt, daß wir Ausländerinnen, die in Fabriken arbeiten, oder auch Ladenverkäuferinnen nicht erreichen. Die haben zwar über Presse und Fernsehen vom Streik gehört. Denen ist aber diese Streikidee relativ fremd. Sie können sich da nicht total identifizieren. Da müßten wir sicherlich noch ein Jahr länger Zeit haben, um bei allen das Bewußtsein hinzukriegen, daß ein Streik wirklich etwas bringen kann.

Es wird also keinen Frauenkampftag, sondern eher einen Frauenaktionstag geben...

Könnte man so sagen, ja. Aber es wird ganz sicher kein Muttertag werden — was da böswillige Zungen schon behauptet haben. Die Frauen haben sich ganz zünftige, zum Teil witzige, zum Teil freche Aktionen ausgedacht.

Was kann denn mit einem Streik, der eben nicht die Hälfte der Schweiz zum Stillstand bringt, sondern eher politische Zeichen setzt, erreicht werden?

Schon bei den Vorbereitungen wurde Einiges erreicht. In Kantonen, die bisher keine Frauenförderungsstellen kannten, also Gleichstellungsstellen wie auf Bundesebene, gibt es jetzt immerhin Eingaben zur Einrichtung solcher Stellen sowie auch Vorstöße zu Quotenregelungen. Gerade in dieser Woche hat das Berner Stadtparlament beschlossen, daß weder Männer noch Frauen mit über 60 Prozent vertreten sein dürfen. In einigen Parteien und Organisationen gibt es Quotenregelungen. Aber daß ein Parlament so etwas beschließt, ist völlig neu.

Kritik an dem Streik kommt ja nicht nur von Seiten der Arbeitgeber und konservativer Frauen, sondern auch aus feministischer Ecke...

Am Anfang hatten Feministinnen die Befürchtung, daß da Gewerkschafter die Frauen zum Streiken schicken. Aber das Ganze hat inzwischen so eine Eigendynamik entwickelt, daß es weit über Gewerkschafterinnenkreise hinausgeht. Es gibt nur 55.000 Gewerkschafterinnen in der Schweiz. Die Kritik aus der feministischen Ecke ist inzwischen verstummt. Schließlich war der Frauenstreik ja auch nie eine Männeridee. Im Gegenteil, die haben die Faust in der Tasche gemacht und sich nicht „nein“ zu sagen getraut. Interview: Dorothea Hahn