Nicht im Chor einstimmen

■ zu: Die Stimmung kippt, taz vom 11.6.1991

Auch mich ärgert zunehmend das Angemache und Verhalten der Drogendealer im Ostertor. Auch ich selbst bin in den letzten Wochen dreimal Opfer der Beschaffungskriminalität geworden. Dennoch kann ich nicht in den Chor der „toleranten Viertelbewohner“ nach mehr Polizeipräsenz einstimmen. Statt mehr Polizei und Abdrängen der Drogenabhängigen in andere Stadtteile, kann uns nur eine kontrollierte staatliche Abgabe von Heroin und ein gut ausgestattetes Methadonprogramm helfen, Bschaffungskriminalität und Verelendung der Szene zu mindern.

Die „Weltstadt“ Bremen weigert sich, zur Kenntnis zu nehmen, daß Frankfurt, Hannover und Hamburg, die schon länger als wir eine uferlose Drogenszene kennen, das Versagen von polizeilichen Mitteln im „Krieg gegen die Drogen“ festgestellt haben. Der Markt schafft das Angebot. Mehr Polizei schafft mehr Aggressivität der Scene. Für einen Dealer im Knast, stehen zwei neue auf der Straße.

Wir müssen uns leider damit abfinden, daß viele Menschen mit der Droge Heroin leben wollen. Weder Polizei noch Therapieplätze werden sie davon abhalten können. Die drogenfreie Gesellschaft scheint eine Utopie zu sein. Wenn wir also nicht wollen, daß Fixer in den Geschäftseingängen und auf der Straße sich einen „Schuß setzen“, dann müssen wir wenigstens für sogenannte Druckräume sorgen, in denen sie dies tun können.

Den angeblich so liberalen Menschen im Ostertor darf im übrigen den Besuch der Stadtteile Huchting, Lüssum und Gröpelingen empfohlen werden. Dort lebt die Bevölkerung schon seit Jahren mit einer starken jugendlichen Gewaltkriminalität, ohne sich selbst der eigenen Liberalität zu rühmen und eine Dezentralisierung Richtung Ostertor zu fordern. Reinhard Engel für den Vorstand der Initiative Bremer Strafverteidiger