Parcours der Gaumenfreuden

■ Wohin des Wegs, wenn der Hunger plagt oder die Kehle trocken ist? Eine Reihe von Kneipen- und Restaurantführern bietet Hilfe im gastronomischen Dschungel Berlins. Doch nicht immer ist man damit gut bedient

Wohin des Wegs, wenn der Hunger plagt oder die Kehle trocken ist? Eine Reihe von Kneipen- und Restaurantführern bietet Hilfe im gastronomischen Dschungel Berlins. Doch nicht immer ist man damit gut bedient.

F

ür Berlin-Besucher und manchmal auch für die Berliner selbst ist in dieser Stadt der etwa 2.000 Restaurants und circa 4.000 Kneipen, Cafés und Bars nichts hilfreicher als ein Führer durch den Dschungel gastronomischer Vielfalt. Diesem Bedürfnis nach Hilfestellung wird reichlich Rechnung getragen: Kneipen- und Restaurantführer für Berlin gibt es mehr als genug. Die Auswahlkriterien sowie die Bewertung in den einzelnen Druckwerken sind zwangsläufig subjektiv; wogegen im Prinzip nichts zu sagen ist, schließlich sollen sie nicht mehr als Anregung und Hinweis sein. Das Mindeste, was man von derartigen Kneipenführern jedoch erwarten kann, ist genaue Recherche und nicht das Verbraten von gängigen Klischees oder gar das Abschreiben aus anderen, meist alten Büchern. Ein Anspruch, der nicht in jedem Fall eingehalten wird, was bei Restaurantbesuchern dann schnell zur Verwirrung führen kann.

Für Gourmets, deren Wohlgefühl erst ab einer höheren Stufe der Raffinesse beginnt, ist das dünne Büchlein Berlin, unsere 60 besten Restaurants mit Sicherheit ein guter Wegweiser durch die Haute Cuisine dieser Stadt, auch wenn Eingeweihte den einen oder anderen Geheimtip vermissen mögen. Unterteilt wurden die Etablissements in First Class, Business und Economy, eine Kategorisierung, die sich mehr nach Publikum und Atmosphäre denn nach Qualität der Speisen richtet. Freilich sind hier die altbekannten und manchmal auch -bewährten Freßtempel beschrieben, wie „Frühsammers Restaurant An der Rehwiese“ oder das „Silhouette“ im Grand-Hotel, beides unter der Rubrik First Class. Wirkliche Überraschungen jedoch fehlen.

Der Hang zum Originellen, zu Neuentdeckungen und die Lust an Siebeckscher Fabulierkunst scheint den Blick auf objektiv nachvollziehbare Qualität zudem zu verstellen. So manches hochgelobte Restaurant hält bei genauer Inaugenscheinnahme längst nicht, was es verspricht. Der Mythos vom feinen Speisen scheint mehr noch als der tatsächliche Gaumenkitzel die Feder geführt zu haben.

Die Broschüre Essen in Berlin legt Wert auf ausschließlichen Service- Charakter. Zwar ist die Auswahl nur klein, dafür zeigt sie jedoch einen Querschnitt durch alle Küchen der Welt, die in Berlin vertreten sind. Die Autoren haben offenbar auch jedes Restaurant besucht, was angesichts mancher ähnlicher Werke nicht selbstverständlich zu sein scheint, schildern in kurzen Stichworten die Atmosphäre, listen einige Spezialitäten auf, inklusive Preisangaben, und weisen auf Besonderheiten hin. Jedes Restaurant ist zudem abgelichtet. Im zweiten Teil des Heftes werden die einzelnen Restaurants nochmals nach Bezirken und nach nationalen Küchen aufgelistet. Für Einsteiger in die Berliner Freßszene, für solche mit schmalem Geldbeutel und wenig preziösen Ansprüchen zumal, ein hilfreiches Werk, auch wenn zu hoffen ist, daß es bald aktualisiert wird.

Dem Mythos des Urberlinerischen ist hingegen das Heft Kneipen in Berlin aufgesessen. Alles, was irgendwie originell zu sein verspricht und zumindest Bouletten, wenn nicht gar Eisbein auf der Speisekarte führt, auf jeden Fall aber den Charme einer Destille aus dem 19. Jahrhundert vorweist, ist hier ausführlichst dargestellt. Im Mittelpunkt stehen die Kneipen in Ostberlin, wo es noch mehr solcher Art von Pinten gibt als im Westteil der Stadt. Hält man sich an die lebhaft beschriebene Atmosphäre samt Histörchen und Historie und besucht ahnungslos eine der Kneipen, fällt auf, daß die Schilderungen mehr vom ungeprüften Hörensagen zehren denn von tatsächlichen Besuchen. In manchen Fällen scheint die Beschreibung auch aus Zeiten zu stammen, die längst der Vergangenheit angehören.

Teilweise abgeschrieben haben offenbar auch die Autoren des Kneipenführers Berlin von 7 bis 7. Die Beschreibungen gleichen in einigen Fällen in ihrer Überholtheit anderen Rezensionen fast aufs Wort. Nun mag dies kein Hinweis darauf sein, daß auch die übrigen Kneipen schlecht recherchiert wurden. Doch Mißtrauen ist angesagt, insbesondere was Ostberliner gastliche Stätten angeht. Möglicherweise wurde in vielen Fällen auf einen Besuch verzichtet und statt dessen auf einzelne Uralt-Reiseführerdarstellungen zurückgegriffen. Immerhin ist dieser Band am umfassendsten mit Adressen bestückt, wenn auch die Auswahl gelegentlich etwas unklar bleibt. Wie sonst kann es passieren, daß noch die hinterletzte Pizzeria eine ausführliche Beschreibung findet, manch andere Etablissements wie das „Café Savigny“ oder das „Mora“ hingegen unter dem Sammelbegriff „Die Szene und ihre Trampelpfade“ nur beiläufig erwähnt werden?

Für solche, die sich der „Szene“ zurechnen, ist das Buch Berlin zwischen Sekt und Selters eine Fundgrube. An den jeweils halbseitigen feuilletonistischen Beschreibungen der einzelnen Kneipen ist sehr wohl zu merken, daß die Gruppe der Autoren nicht nur einen Blick in die Kneipen geworfen hat. Wer sich von dem Stil angesprochen fühlt, kann die Kategorisierungen — von einem bis sechs Sektkelchen— durchaus nachvollziehen. Der Ostberliner Teil ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Ein Umstand, der allerdings nicht der Urteilskraft der Tester zuzurechnen ist, sondern dem schnellen Wandel von Publikum und Ambiente in den östlichen Szene-Kneipen.

Ein Lichtblick in Sachen Restaurantführer ist das Werk Restaurants in Berlin, das aus Teilen der Serie des 'Tagesspiegels‘ „Von Tisch zu Tisch“ zusammengestellt wurde. Dies war und ist immer noch ein Genuß zu lesen und auch bemerkenswert informativ, zudem beschränkt sie sich nicht nur auf die Edelfreßtempel. In dem Buch sind die kleinen Zeitungsrezensionen nun aktualisiert und teilweise ausführlicher gestaltet worden. Der Hungrige erfährt nicht nur etwas über Atmosphäre und Ambiente, sondern auch über einzelne Gerichte, deren Feinheiten ebenso wie deren Schwächen, über Getränke und die Bedienung. Hilfreich auch der Hinweis auf die Preise, die für jeweils zwei Personen und ein mehrgängiges Menü inklusive Getränke angegeben sind. Überraschungen werden selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Daß sich die Eßszene Berlins in Sachen Preis und Qualität häufig ändert, dürfte allen Kennern keine Neuigkeit sein. Ein Manko des Buches ist, daß nur wenige Restaurants Ostberlins Erwähnung gefunden haben. Doch wird dies im Vorwort damit entschuldigt, daß die Ungewißheit über die Existenz so mancher als gut befundener Etablissements zu dieser Entscheidung geführt hat. Es bleibt zu hoffen, daß dieser Restaurant-Führer regelmäßig in aktualisierter und erweiterter Auflage erscheinen wird.

Petra Dubilski

Berlin, unsere 60 besten Restaurants, ausgewählt von Günther Fannei, Thomas Platt, Jürgen Schiller, Nicolai, Berlin 1990;

Essen in Berlin, Kleindienst Lokalpresse, Berlin, Ausgabe 1990/91

Kneipen in Berlin, vorgestellt von Harald Thoms, Hrsg.: blatt extra, Edition Fischerinsel, Berlin, Ausgabe 1990/91

Berlin von 7 bis 7, 7 bis 7 Freizeitverlag, Berlin, Ausgabe 1991/92

Berlin zwischen Sekt und Selters, Hrsg.: Thomas Schweer, Silke Kluckert, Gisela Sonnenburg, ars vivendi verlag, Cadolzburg, Ausgabe 1990/91

Restaurants in Berlin, ausgewählt von Elisabeth Binder und Bernd Matthies; Argon Verlag, Berlin 1991