: Keine Angst vor Infotainment
Zum internationalen Fernsehkongreß im Rahmen des Medienforums Nordrhein-Westfalen ■ Aus Köln Ute Thon
Ministerpräsidenten sind auch Fernsehkonsumenten. Und manchmal kommen ihnen nach einem Abend vor der Glotze ganz erstaunliche Erkenntnisse. Björn Engholm jedenfalls fiel auf, daß das TV-Programm alles in allem ziemlich dürftig ist. Nach einer Woche voller Politik habe er samstags „Fernsehen satt“ genießen wollen, aber vom Angebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten sei er ebenso enttäuscht worden wie von den Sexfilmchen der Privaten, beklagte sich der frisch gebackene SPD-Chef vergangenen Montag auf der Eröffnungsveranstaltung des Kölner Medienforums.
Dabei hätte sich der passionierte Pfeifenraucher gerade dort von seinem Fernsehfrust erholen können. Während sich in den schlecht belüfteten Tagungskellern des Hotels Maritim Medienbürokrat Rudolf Mühlfenzl zum wiederholten Male über die „Perspektiven des Rundfunks in den Neuen Ländern“ ausließ, konnte man auf einer Parallelveranstaltung nämlich Fernsehen satt erleben. In der Kölner Cinemathek (im großzügigen Ambiente des Museum Ludwig!) lief GBH. Der Ausschnitt aus der ambitionierten Polit-Serie des britischen Senders Channel Four war anschauliches Beispiel dafür, wie Fernsehen sein kann, jenseits der endlosen Strukturdebatten um Rundfunkstaatsverträge, Gebührenerhöhung und dualer Frequenzplanung.
„Twin Peaks“ gegen „Lindenstraße“
Im Rahmen der viertägigen Medienfachtagung der NRW-Staatskanzlei hatte das Adolf-Grimme-Institut erstmals einen internationalen Fernsehkongreß organisiert, der sich mit dem beschäftigt, woran es im trüben TV-Alltag mangelt, nämlich mit den „Perspektiven des Qualitätsfernsehens“. Zum Thema „Fernsehserien“ präsentierten die Veranstalter nicht nur das Channel-Four-Produkt, sondern auch Beispiele aus Frankreich, Deutschland und den USA. David Lynchs skurrile TV-Serie Twin Peaks, die ab Herbst von RTLplus ausgestrahlt wird, gehört genauso wie GBH zum feinsten, was derzeit auf dem Serienmarkt zu haben ist. Dagegen wirkt Geißendörfers Lindenstraße ziemlich blaß. Jedoch auch die Geschichten aus der deutschen Jammergasse liegen immer noch weit über den internationalen Serienstandards.
Der Geschäftsführer der Münchener Produktionsfirma Taurus Film, Jan Mojto, war sich in der Podiumsdiskussion mit 'New-York-Times‘- Kritiker John O'Conner einig, daß es in den USA, dem Serienexportland Nummer eins, niemals so viel „flat stuff“ produziert wurde wie heute. Und auch die französische Produzentin Simone Harari-Halberstadt wußte vom zunehmenden Trend zur leichtverdaulichen Sit-com zu berichten. Während naive Endlosserien sich in Frankreich zunehmender Beliebtheit erfreuen, gehen bei Twin Peaks, das derzeit im Privatsender La Cinq läuft, die Einschaltquoten rapide nach unten.
Der Serientrend geht in Richtung „flat stuff“
Zwar waren Zuschauerquoten noch nie ein guter Gradmesser für Qualität, doch in Zeiten des verschärften Wettbewerbs zwischen einzelnen Sendern verhindern sie zunehmend die Realisation ambitionierter TV- Projekte. Serienproduktion und -ausstrahlung hat, das wurde in dem zweistündigen Werkstattgespräch deutlich, wenig mit Qualtät und viel mit Markt zu tun. Serien werden von Programmplanern in erster Linie als Werbeumfeld geplant. Daß sich dabei eventuell auch etwas Anspruchsvolles entwickeln kann, scheint mehr Zufall als Absicht. Twin Peaks jedenfalls wurde vom US-Sender ABC nach 50 Folgen erstmal auf Eis gelegt. Der Grund: sinkende „ratings“.
Aber nicht nur Fernsehserien sind abhängig vom Massenerfolg beim Zuschauer. Auch bei der Frage „Wer dominiert das Nachrichtengeschäft?“ kam die Rede schnell auf Einschaltquoten und Werbezeiten. Die Entwicklung der TV-Nachrichten in den USA zeige nämlich, so referierte Peter Ludes anhand einer Studie der Uni Siegen, daß auch die Nachrichtenredaktionen dort seit Anfang der 80er Jahre zunehmend unter den Druck der Einschaltquoten gerieten. Mit der zunehmenden Konkurrenz durch private Anbieter verloren die großen Networks rund 30 Prozent ihrer Zuschauer. Im Zuge des Anpassungsdrucks entwickelten sich die nüchternen Nachrichtensendungen hin zu „news shows“. Das Zauberwort der Zukunft heißt „infotainment“.
Nachrichtenmoderatoren als TV-Stars
Dabei wird der Kopf, der die Informationsshow im Fernsehen präsentiert oft wichtiger als die Nachrichten selbst. Als Motiv für ihren Beruf äußern junge Nachrichtenjournalisten in den USA darum laut der Studie des Medienforschers Ludes heute folgerichtig: Sie wollen ein „Star“ werden. Die Veranstalter des Fernsehkongresses hatten eine illustre Runde europäischer Nachrichten-„Stars“ auf's Podium geladen. Zu den Unterschieden ihrer jeweiligen Nachrichtensendung sagten die fünf Anchormen und die eine „Ankerfrau“ (Lilli Gruber von RAI1) nicht viel. Aufschlußreicher als die professionellen Nettigkeiten, die die Kollegen untereinander verteilten, war der 17minütige Zusammenschnitt aus verschiedenen europäischen Nachrichtensendungen. Aus der dynamischen Bildmischerflut ragten getragen-altmodisch die Nachrichten von ARD und ZDF heraus. Kein anderes News-Logo klappt so gemächlich ins Bild wie die Weltkarte der guten „Tante Tagesschau“, kein Sprecher sitzt so verloren und steif am rechten Bildrand wie Werner Veigel. Auch die Sprache wirkt gemessen am hektischen Dauergeplapper von französischen oder italienischen Sprechern unendlich schwerfällig.
Zumindest für deutsche ZuschauerInnen ist die Gefahr des „Infotainment“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehens vorerst nicht in Sicht. Hanns Joachim Friedrichs, der einzige deutsche Nachrichtenmoderator mit echten Starqualitäten, zeigte für den Kultstatus kein Verständnis: „Unser Berufsstand wird überschätzt“, lautete seine Meinung. Die Qualität einer Nachrichtensendung hinge viel mehr von der Arbeit der Korrespondenten ab, als von denjenigen, die diese auf dem Bildschirm verkünden.
Die Politisierung des Fernsehspiels
Einen eindrucksvollen Beweis davon, was im bundesdeutschen Fernsehen (noch) nicht möglich ist, lieferte der Fernsehkongreß am letzten Tag. Zum Thema „Die Politisierung des Fernsehspiels“ zeigten die Grimme-Leute unter anderem die aktuelle BBC-Produktion House of Cards. Die Autoren des bissigen Politkrimis nahmen in dem Fernsehdreiteiler das Ende der Eisernen Lady quasi vorweg. Mit messerscharfen Dialogen und einer perfekten Kinodramaturgie demontieren sie die Tory-Partei ganz unverblümt als intrigante Regierungsclique, die bei der Bestellung eines Nachfolgers für die gestürzte Margareth Thatcher mehr an Intrigen, Drogen, Sex und Bestechung interessiert ist als an der Lösung der sozialen Spannungen, die zu der Regierungskrise führten.
Das bitterböse, sehr britische Politstück wurde im November 1990 noch vor dem Rücktritt der Premierministerin ausgestrahlt. Auf deutsche Verhältnisse gemünzt, müßte ein Programmdirektor folgendes Szenario über die Zeit nach Kohl über den Sender gehen lassen: Stoltenberg, Geißler und Graf Lambsdorff streiten um die Kanzlerkandidatur, Schäuble wurde ins Heim abgeschoben, Hannelore schnupft heimlich Coks und über die Regierungsbänke im Bonner Wasserwerk flitzen die Ratten.
Vom Fernsehkongreß zum TV-Festival
Fazit des ersten internationalen Fernsehkongresses in Köln: Die Idee, „Perspektiven des Qualitätsfernsehens“ nicht nur theoretisch zu erörtern, sondern auch an Beispielen zu zeigen, ist zumindest in Ansätzen geglückt. Insgesamt hatten sich die Veranstalter mit drei Themenschwerpunkten — Serie, News und Politisches Fernsehspiel — etwas übernommen. Weniger — vor allem weniger schwerblütige Referate und Diskussionen um die einzelnen Filmbeispiele — wäre mehr gewesen, mehr Vergleiche aus dem internationalen Programmangebot wären wünschenswert.
So könnte sich das Anhängsel des NRW-Medienforums unversehens in ein eigenständiges TV-Festival verwandeln, das das Vehikel der starren Tagungskonzeption nicht mehr länger nötig hat. Überlegungen in diese Richtung gab es in Köln und anderswo ja schon öfter. Was bislang allerdings entweder am Größenwahn der Planer oder am Desinteresse der Staatskanzleien scheiterte, könnte durch die geschickte Taktik des Marler Medieninstituts vielleicht schon bald Wirklichkeit werden. Im Schatten des Medienforums sammeln die Grimme-Leute, finanziert und protektioniert von der NRW-Regierung, Punkte für ein solches Unternehmen.
Ob das Institut mit der Vergabe des renommiertesten deutschen Fernsehpreises und verschiedenen Tagungsaktivitäten nicht schon genügend Einfluß hat, bleibt dabei erstmal dahingestellt. Ein TV-Festival, das es ermöglicht, Fernsehen im internationalen Vergleich zu sehen, das Austausch zwischen Machern und Programmbeobachtern fördert oder auch nur die schärfsten TV-Produkte eines Jahres aufstöbert und zeigt, das könnte die Diskussion um den trüben TV-Alltag durchaus beleben.
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