SCHLOSS ALS STAFFAGE

■ Aktionskomitee kämpft gegen die Vermarktung des Loire-Schlosses Chambord

Aktionskomitee kämpft gegen die Vermarktung des Loire-Schlosses Chambord

VONMARIANNEDEPIERRE

Chambord, mit seinen 440 Zimmern und fast ebenso vielen Kaminen, Giebeln und Türmchen größtes Schloß an der Loire, ist in Gefahr. Der Renaissance-Bau von Franz I. ist zwar nicht vom Einsturz, aber von Geschäftemachern bedroht, die Hand in Hand mit den Regionalbehörden die Loire-Schlösser, eine von Frankreichs größten Sehenswürdigkeiten, gewinnbringend vermarkten wollen. Endziel: Man will die derzeitige Zahl von 1,2 Millionen Besuchern verdoppeln und ihnen möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen. Auf 150 Hektar soll nach Vorstellung des Regionalrats des Departements Loire-et-Cher an der nördlichen Zufahrtsstraße Chambords ein Fremdenverkehrskomplex mit Hotels, Konferenzsälen, Jugendherberge, Restaurants, Snackbars, Souvenirläden und den dazugehörigen Parkplätzen für eine reibungslose Massenabfertigung der Besucher entstehen. Dazu gehört, gewissermaßen als „kulturelles Alibi“, ein „Renaissance-Park“ nach Disneyland-Vorbild. Der Clou das Ganzen: ein pyramidenförmiger Turm mit einem spiralförmigen Rundgang, bei dem sich die Konzeptplaner auf Brueghels Darstellung des Turmbaus von Babel berufen. Über dem drehenden Turmrestaurant in 200 Meter Höhe — mit Blick auf die übrigen Loire-Schlösser und die Kühltürme des Atomkraftwerks Saint-Laurent — soll Leonardo da Vincis Mann mit den ausgebreiteten Armen zusammen mit einem Springbrunnen thronen. Als Eröffnungstermin hat man sich sinnigerweise 1994, das 500. Geburtsjahr von Franz I., ausgedacht. Dann wäre es vorbei mit der beschaulichen Fahrt nach Chambord durch die liebliche Loire-Landschaft und den stillen Staatsforst, das Schloß würde zur reinen Staffage verkommen. „Rettet Chambord, bevor es zu spät ist!“ Mit diesem Aufruf wenden sich Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle an die Öffentlicheit. Eine nationale und internationale Unterschriftenaktion ist im Gange, „denn wenn dieses Projekt durchkommt, sind morgen andere historische Bauten in Gefahr“, warnt die „Association pour la Defense de Chambord“. Zudem steht Chambord auf der Unesco-Liste der Weltkulturgüter. Notfalls will man sich an Fran¿ois Mitterrand persönlich wenden, denn das Schloß und sein Jagdrevier unterstehen direkt dem französischen Präsidenten.

Ausgangspunkt für die Debatte um Chambord war vor zwei Jahren die durchaus fällige Überlegung der Ministerien für Kultur und Fremdenverkehr gewesen, daß für die Loire- Schlösser mehr getan werden müsse. Der Zustand der staatlichen Schlösser wie Chambord, Chaumont und Azay-le-Rideau war mehr als beklagenswert, während private Schloßherren in Chenonceau, Villandry oder Ussé ihre Anwesen mit mageren staatlichen Subventionen, aber mit umso mehr Liebe und Findigkeit attraktiv und besucherfreundlich gestalteten. Doch noch mehr als das Lifting für die Baudenkmäler hatte man leider die Förderung des Fremdenverkehrs und seiner wirtschaftlichen Interessen im Auge. Die staatliche Verwaltung für Baudenkmäler wurde damals mit der Ausarbeitung eines kulturellen Gesamtkonzepts für den Raum zwischen Angers und Orleans beauftragt. Ziel war es, mehr Besucher für längere Zeit an die Loire zu bringen, denn der Durchschnittstourist absolviert in höchstens drei Tagen nur die vier oder fünf bekanntesten Schlösser, wenn er sich nicht gar auf einen Tagesausflug im Reisebus oder mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV begnügt. Man zog auch Wissenschaftler, Historiker und Konservatoren zu Rate, genau diejenigen, die heute im Vorstand des Aktionskomitees um Chambord kämpfen. Denn als dem wissenschaftlichen Beirat klar wurde, daß es in Wirklichkeit um nichts anderes ging als um finanzielle Interessen von Projektbüros, Hotelgruppen und Reiseveranstalter und um den damit verbundenen Steuersegen für die Regionalbehörden, zogen sie schnellstens die Alarmglocke. Als durchsickerte, daß die Accor-Gruppe — Besitzer der Novotel-Kette, des Asterix-Parks bei Paris und von Autobahnraststätten — den Zuschlag bekommen sollte, war ihnen klar, welche Art von „Kultur“ gemeint war. Daß die Besucher der Loire-Schlöser einen besseren Empfang und mehr Informationen erwarten können, bestreitet auch das Aktionskomitee nicht — im Gegenteil. In Chambord bietet sich beispielsweise der völlig verwahrloste Marstall als Ort für ein Informationszentrum an. Eine größere Anlage, die dem Besucher bei der Ankunft im Loire-Tal Reiserouten vorschlägt, die einzelnen Schlösser vorstellt und Hintergrundinformationen liefert, könnte direkt neben der Autobahnabfahrt entstehen. Und genügend Unterkunftsmöglichkeiten sind allemal vorhanden — in Landgasthöfen und in einer Reihe von Privatschlössern und Herrenhäusern.

Die Manie, Frankreichs Baudenkmäler oder Geschichte in Form von pseudokulturellem Fast-food für eilige und phantasielose Touristen anzubieten, greift schon seit einigen Jahren um sich. Die geniale Idee, das Schloß von Versailles und seinen Park zu „animieren“, ist zwar erst mal wieder auf Eis, aber keineswegs völlig vom Tisch. Auch der Pont du Gard in der Provence bekommt zwar nicht das geplante Freizeitzentrum, aber geldbringende Fremdenverkehrseinrichtungen vor die Nase gesetzt. Doch spätestens nach dem Fiasko der „Revolutionskirmes“ in den Pariser Tuilerien, die im Jubiläumsjahr als große Attraktion angepriesen wurde und mangels Besuchern vorzeitig schließen mußte, sollte es den Kulturtechnokraten eigentlich klar sein, daß sie auf dem falschen Weg sind.afp