Die Lust am Verbotenen

■ „Agatha“ — ein Einakter von Marguerite Duras

Die bloße Lektüre dieses Einakters von Marguerite Duras versprach eher das Gegenteil: angestrengte Sprachübung in der fremden „Sie“-Anrede der Franzosen. In erstaunlicher Leichtigkeit jedoch bewegen sich Judith Reinartz und Hajo Förster als liebendes Geschwisterpaar auf der Bühne. Nichts Verzappelt-Naturalistisches wird da vorgeführt, vielmehr füllt die hermetische Dynamik des Inzest-Tabus mit allerhand Freude an der heimlichen Übertretung die 60 Minuten mit Spannung, ganz ohne Peinlichkeit.

Agatha, Ende Zwanzig, fünf Jahre jünger als ihr Bruder, möchte sich von diesem verbotenen Liebhaber trennen, jedoch nicht wirklich von ihm lassen, um im Abstand diese „verwerfliche Liebe“ für immer aufzuheben, zu bewahren, hinüberzuretten als geheime Kraftquelle in ihren Ehealltag. Der heftig begehrende Bruder möchte sie dagegen weiterhin in seiner konkreten Nähe wissen; ein zeitloser Konflikt.

Und so entwickelt sich der Dialog vornehmlich über das gegenseitige Sich-Erinnern an die sinnlichen Freuden „jenes Sommers“, als ihre Leidenschaft begann. Zwischen Brahms- und Satie-Klängen taucht schwärmerisch, beinahe schwerelos, die Vergangenheit auf. Allerdings bestimmt die Schwester — Agatha — den Rhythmus von Nähe und Distanz. In unglaublicher Anmut — Körper und Stimme wie die junge Ingrid Bergmann — dominiert diese Frau den ihr ergebenen Mann; beide spielen gekonnt mit dem Schmerz möglicher Abweisung. Mit Lust auch an sprachlicher Selbstinszenierung werden sie einander wieder verführen. Sich selbst über die Sehnsucht des Anderen zu definieren, ist das eigentliche Thema.

Auf der schrägen Ebene der Kölner „Keller“-Theaterbühne vollzieht sich eine Symbiose der Blicke. Alles andere darf sich als Amour fou im Kopf des Zuschauenden fortsetzen. Mbl

Marguerite Duras: Agatha. Regie: Wolfgang Trautwein. Mit Judith Reinartz und Hajo Förster. Theater „Der Keller“, Köln. Nächste Aufführungen: 16., 19., 21., 23., 25., 27.6. sowie 4.-6.7.91.