: Hürdenlauf über Abfall und Ratten
■ Die US-amerikanischen LeichtathletInnen ermitteln unter miserablen Bedingungen ihre Landesmeister Zehnkämpfer O'Brien streifte Weltrekord und lief so schnell wie 400- Meter-Weltrekordler Reynolds
New York (dpa) — Als Daniel O'Brien mit 4.747 Punkten einen neuen „Halbzeit-Weltrekord“ für Zehnkämpfer aufstellte, war er nur damit beschäftigt, die Leute zu beruhigen: „Ich habe große Schwächen in den Disziplinen des zweiten Tages“, dämpfte er die Erwartungen. Doch 10,23 Sekunden als schnellste 100-Meter-Zeit aller Zehnkämpfe beflügelten den 24jährigen zu fünf persönlichen Bestleistungen und phänomenalen 8.844 Punkten.
Damit fehlten ihm nur drei Pünktchen zum Weltrekord des Briten Daley Thompson. Fehlende Windmesser am ersten Tag und zu viel Rückenwind beim Hürdenlauf verhindern allerdings die Anerkennung als USA-Landesrekord. „Aber die Punktezahl ist trotzdem gut fürs Selbstvertrauen“, tröstete sich der neue Mehrkampfstar.
Dopingsünder Butch Reynolds feierte dagegen sein erfolgloses Comeback wie einen Sieg. Siebter mit 47,40 Sekunden wurde der 400-Meter-Weltrekordler in seinem Vorlauf und verpaßte klar die Zwischenläufe, versprach aber eine Fortsetzung des Rechtsstreits. „Daß ich hier starten durfte, war ein Sieg für mich“, sagte der Olympiazweite, der vom Weltverband IAAF für zwei Jahre gesperrt wurde, aber von einer Schlichtungsstelle des US-Justizministeriums die Starterlaubnis für die Veranstaltung im New Yorker Downing Stadium bekommen hatte. Auf der Laufbahn hinterließ der Jurastudent nach Monaten ohne Training einen traurigen Eindruck und lief genauso schnell wie der Zehnkämpfer O'Brien. Mit 47,70 Sekunden blieb selbst der Hürdenweltrekord von Edwin Moses (47,02) unangetastet. Trotz 10.000 Freikarten des Veranstalters pro Tag herrschte erneut Trauerstimmung, und selbst das interessante 100-Meter-Fernduell zwischen Lewis und Burrell ging vor 500 Zuschauern unter. Die beiden Freunde und Mannschaftskollegen des Santa Monica Track Clubs feuerten und trieben sich gegenseitig an. Vor allem Lewis riß sich nach den schwachen Leistungen der vergangenen Wochen rechtzeitig zusammen. „Ich bin hier, um zu gewinnen“, sagte der 29jährige, „die anderen sind mir egal.“
Als der Präsident des US-Leichtathletik-Verbandes „The Athletics Congress“ (TAC) die skandalösen Bedingungen im New Yorker Downing Stadium sah, schüttelte er nur den Kopf. „Ich bin enttäuscht“, gab Greenberg, der eigentlich dafür bekannt ist, die Peinlichkeiten seines Verbandes immer zu beschönigen, unumwunden zu. Irgendwo zwischen den Bronx und Harlem kämpfen die US-Stars um die WM-Qualifikation. Zuschauer gibt es kaum, dafür jede Menge Abfall, Pfützen, Ratten und lärmende Bohrer.
Die Windmesser fehlten, die Anzeigetafel funktionierte nicht, und im Pressezentrum herrschte Stromausfall. Hinter der 100-Meter-Geraden dröhnten Züge vorbei und ein sechsspuriger Freeway, die Weitsprung- und Hochsprunganlagen sind in katastrophalem Zustand, und zahlreiche Athleten haben die unbefriedigenden Bedingungen bereits angeklagt. „Ich sage nur, das ist lächerlich“, bekannte Jackie Joyner-Kersee, „die Bedingungen sind einer Meisterschaft unwürdig.“
Der mächtige TAC-Präsident Greenberg gab kleinlaut zu, die Wettkampfstätte vorher nicht besichtigt zu haben. Die chaotische Situation im Downing Stadium paßt zweifellos zur kritischen Lage der krisengeschüttelten US-Leichtathletik. Obwohl Greenberg mit Blick auf ein effektiveres Marketing des Sports durchsetzen will, daß sich seine Athleten in Zukunft Profis statt Amateure nennen, ist die Organisation in New York so weit von Professionalität entfernt wie Roger Kingdom von seiner Bestform. Der zweimalige 110-Meter-Hürden-Olympiasieger zog nach einer schweren Knie-Operation seine Meldung zurück. Sven Busch
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