Techno-Pop auf dem Treptower Todesstreifen

■ Das Museum der Verbotenen Kunst veranstaltete am Sonnabend eine Dance-Party unter dem letzten intakten Wachturm der DDR/ Kunst und Kommerz sagten sich auf dem ehemaligen Todesstreifen zwischen Kreuzberg und Treptow Gute Nacht

Niemandsland. Dort, wo Kreuzberg schon aufgehört, aber Treptow noch nicht begonnen hat, auf dem ehemaligen Todesstreifen, steht der einzige noch intakte Wachturm der DDR-Grenztruppen. Bald wird er unter Denkmalschutz gestellt. Denn seit genau einem Jahr befindet sich in ihm das Museum der Verbotenen Kunst e.V., ein Zusammenschluß ehemaliger Schriftsteller und -Künstler, die die DDR verlassen mußten.

Mit einer ständigen und wechselnden Ausstellungen wollen die Künstler »die Kunstfeindlichkeit der stalinistischen DDR dokumentieren«, wie es in der Konzeption des Museums heißt. Ebenso soll »im Gedächtnis bleiben, daß es Künstler gab, die trotz Repressionen versuchten, in der Wahrheit zu leben«. Der Wachturm wurde ihnen von den Grenztruppen in der Endzeit zur Pacht überlassen. Die Idee, einen Wachturm zum Museum umzugestalten, hatte der Avantgarde-Künstler Kalle Winkler: »Im Niemandsland — wo wir uns jahrelang bewegten.«

Eigentlich wäre das Grund genug zum Feiern, doch eine begeisterte Jubiläumsparty konnte und sollte es nicht sein. Das Museum ist in schweren Geldnöten und so scheuten die Veranstalter keinen Aufwand, um ein großes und breitgestreutes Publikum für sich zu gewinnen. Die Kreuzberger Szene, in der sich die Künstler verankert fühlen, reichte nicht mehr aus; andere Einfälle mußten das Publikum zu der »Dance- Party« unter dem Turm locken und die Kassen füllen.

Jugendstar-DJ Kid Paul machte den Anfang am Mischpult auf dem Dach des ehemaligen Wachturms und wurde von dem »legendären« Westbam abgelöst, der als DJ von einem Zeitgeist-Magazin auf Platz eins der Top-Ten gesetzt wurde. Videokünstler Peter Rubin unterlegte die House- und Techno-Musik mit den entsprechenden Videoclips und Lichteffekten. Um die Gagen für die Gala-Stars zahlen zu können, hat sich das Museum zahlkräftige Sponsoren genommen. Die Partygäste mußten hohen Eintritt berappen, das Essen und die Getränke waren teuer.

Noch einige Stunden zuvor bot das Museum ein ganz anderes Bild. Da konnte man sich noch im zweiten Stock des verlassenen Wachturms, wenn man die schmale Eisenleiter erklomm, die derzeitige Ausstellung des Museums ansehen. Photographisch wird die Aktion »Wir wollen Westler sein« von Jochen Wisotzki und KaDe Hoffmann dokumentiert. Dabei hatte eine Gruppe über das Radio bekanntgegeben, 5.000 Mark »aus dem Fenster zu werfen«. An die hundert Passanten standen vor dem besagten Haus mit aufgespannten Regenschirmen und erwarteten den Geldregen. Doch auch als sie lautstark der Aufforderung nachkamen, »Wir wollen Westler sein« zu skandieren, blieb der Geldregen aus.

Ein gemischteres Publikum als bei dieser Party konnte man sich daher kaum vorstellen. Die einen genossen die nach ihrem Geschmack gute Musik und ahnten nicht einmal etwas von den Ideen und Vorstellungen des Museums. Die anderen mußten versuchen, ihre Sympathie für die Künstler mit der kommerziellen Veranstaltung zu verbinden: »Kunst und Kommerz vertragen sich nicht.«

Die Mitglieder des Museums verstehen den Vorwurf, wollen ihn sich jedoch nicht gefallen lassen. Das Museum muß sich allein tragen, andere Gelder bezieht es nicht mehr. Weil ihm die Konzession für den Getränkeausschank fehlt, muß es eine happige Strafgebühr zahlen — serviert werden z.B. »Flüchtlingsblut«, »X-ter Parteitag«, »Wachablösung«. Treptow stellt den Künstlern alle möglichen Hürden in den Weg, indem er etwa das Gebiet um den Turm herum kniehoch absperren ließ, ohne einen Zugang offen zu lassen. »Es paßt ihnen einfach nicht, daß wir nicht nur Leute wie Wolf Biermann zu den verfolgten und emigrierten Künstlern rechnen, sondern auch die Avantgarde«, vermutet Lebenskünstler Kalle Winkler.

Nicht nur die verbotene Kunst der DDR soll dokumentiert werden, sondern auch neuen Ideen der Weg bereitet. »Kunst kann man nicht nur durch Zensur verbieten, sondern auch durch Ignoranz und die Verweigerung von Geldern.« Aus dieser Überzeugung investiert der 22jährige Lebenskünstler Jan Köhncke seine Freizeit in das Museum. Nun hofft das Museum, in den Berliner Kulturhaushalt des nächsten Jahres aufgenommen zu werden. Thekla Dannenberg