Die Berlin-Werber vom Brandenburger Tor

■ Regierungssitz-Reklame rund um die Uhr

»Die Chaoten sitzen in Bonn«, erregt sich Pelle. »Ganz genau«, stimmt eine Oma zu, »die haben 40 Jahre geheuchelt.« Mag der »Liberale Club« seine angekündigte Hauptstadt-Berlin-Demonstration mangels Prominenz ausfallen lassen, Pelle und Ingo von der »Familie der Mahnwache Brandenburger Tor« sammeln seit dem 7. Juni Unterschriften für eine Hauptstadt Berlin. Und zwar »24 Stunden am Tag«, verkündet Pelle und verweist auf die Schlafsäcke unter dem Tisch. Pelle ist im Nebenberuf Clown und arbeitet gelegentlich mit dem Büro für ungewöhnliche Maßnahmen zusammen.

Berlin als Hauptstadt komme den Menschen in der DDR zugute und das sei doch wohl wichtiger, als »engstirnig an unsere westlichen Geldbörsen zu denken«. In 27 Städten der alten Bundesrepublik sammle die »Familie« Unterschriften und — ist es nicht einfach beschämend? — Berlin liege mit knapp 3.000 Unterschriften an 27ster Stelle. Unter dem Motto »Die Welt sagt Ja zu Berlin« sollen in den nächsten Tagen die Außenminister der KSZE-Konferenz im Reichstag zur Unterschrift gebeten werden. Am Donnerstag um 15 Uhr ist die Aktion beendet und Pelle fährt nach Bonn um Rita Süssmuth die Unterschriftenliste zu überreichen. Dazu gibt es dann noch 700 Kugelschreiber für die Abgeordneten: »Es wäre pervers, wenn die gegen Berlin stimmen mit einem Kugelschreiber, auf dem ein Berliner Fähnchen prangt.«

Eine Oma beschwert sich: »Das sieht ja kein Mensch, daß Sie hier Unterschriften sammeln. Warum sitzen Sie in diesem Versteck?« Versteck? Mitten Unter den Linden? Pelle hat jahrelang Mahnwachen an der Mauer abgehalten. Es schmerzt ihn, daß »die Leute, die uns damals Tee gebracht haben, uns jetzt verprügeln wollen«. Außerdem könne man hier auch für Bonn unterschreiben. Eine Frau, die gerade unterschrieben hat, macht auf dem Absatz kehrt und verlangt energisch die Liste zurück. »Nicht, daß ich aus Versehen für Bonn unterschreibe.« ana