Marlene Dietrich kommt nie mehr nach Berlin

Schon einmal wollte Marlene Dietrich nicht nach Berlin heimkehren. Hitler soll ihr 1933 einen triumphalen Empfang angeboten haben, aber sie zeigte ihm die kalte Schulter und blieb in Hollywood — Marlene Dietrich war Antifaschistin: »Verfolgung unschuldiger Menschen«, so sagt sie in einem heute erschienenen Interview des 'Spiegel‘ zu ihrem Haß aufs Dritte Reich, »war, ist und bleibt eine verhaßte Tat. Für die Dimension des Faschismus gibt es keine Worte.«

Für ihre heutige Weigerung, ins wiedervereinigte Berlin zu kommen, gibt sie in dem Interview einen wesentlich banaleren Grund an: »Ich habe keine Freunde oder Bekannte in Berlin, also keinen Grund für eine solche Reise. Ich habe Verpflichtungen, die meine Zeit voll in Anspruch nehmen.«

Auch ein Wiedersehen mit den heute gefährdeten ehemaligen UFA-Studios in Babelsberg scheint sie nicht locken zu können: »Babelsberg bedeutet heute nichts für mich. Ich wurde gegen meinen Willen dort engagiert, und, wie vorher gesagt, waren sie gegen mich und ließen die Option, die sie auf mich hatten, fallen.« 1931 ging Dietrich nach Hollywood, wo sie mit Filmen von Josef von Sternberg, Ernst Lubitsch, Billy Wilder, Fritz Lang und anderen zum Weltstar wurde. Am liebsten seien ihr heute ihre Filme von Wilder, A Foreign Affair (1948), der in Berlin spielt, und Zeugin der Anklage (1958). Heute lebt sie in Paris, Avenue Montaigne 12. Sie liebe diese Stadt »seit langem«.

In dem Interview antwortet Dietrich auf schriftlich gestellte Fragen. Zunächst habe sie abgewiegelt, so berichten Redakteure des Nachrichtenmagazins, aber dann habe sie sogar selbst zurückgerufen. Gelitten hat das Interview durch einen datenschutzbewußten Portier, der sich weigerte, die Privatnummer des zuständigen Redakteurs herauszurücken, als Dietrich einmal am Wochenende anrief.

Wie endgültig Marlene Dietrichs Berlin-Absage ist, wäre noch herauszufinden. Immerhin hat sie noch vor einem Jahr, unter dem Eindruck des Mauerfalls, einem französischen Radiosender erklärt, sie wolle nun noch einmal ihre Heimatstadt sehen, denn »ich hab noch einen Koffer in Berlin«.

Und auch im jüngsten Interview bekennt sie sich zu »positiven Erinnerungen« an Berlin. »Das Deutschland vor Hitler, mein Heimatland, liebte ich natürlich, und meine Erinnerungen sind schön und oft traurig — so wie alle Erinnerungen. Stolz bin ich auf meinen Berliner Humor, der einzig auf der Welt ist und mir das schwere Leben erleichtert hat. Außerdem ist alle deutsche Literatur in mir verankert — von Goethe angefangen bis zu Rilke, mit dem ich heute jeden Tag und viele Nächte verbringe. Der Zauber ist ohne Ende.«

Am 27. Dezember wird Marlene Dietrich neunzig Jahre alt. Vielleicht sollten die heutigen, demokratisch gewählten Repräsentanten der Stadt doch noch mal versuchen, sie einzuladen. Sie könnte durch die Schöneberger Leberstraße spazieren, wo sie ihre Kindheit verbrachte, und feststellen, daß sie durchaus Freunde in Berlin hat. Thierry Chervel