: Die Planwirtschaft ist gescheitert
■ Der FC Bayern München erreichte nach einem 2:2 gegen Absteiger Uerdingen den UEFA-Cup 1991/92 Vor der Saison kaufte der Meister tolle Spieler, am Ende bezahlt er für flotte Sprüche und zu hohe Ziele
München (taz) — Weiß-blau strahlte der Himmel über der Landeshauptstadt München, 70.000 Menschen strebten mit bierseeligem Optimismus dem Olympiastadion zu, in dessen Betonsalatschüssel Blasmusik ertönte, einzig unterbrochen vom laut skandierten Triumphgeschrei: Bayern wird Meister.
Alles war wie am 26. April 1986, als Bayern München auf der Zielgeraden Werder Bremen den Titel wegschnappte. Aber die Geschichte wiederholt sich nicht — und Wunder schon gar nicht. Spätestens als um 16.37 Uhr die Anzeigetafel die 2:0- Führung des 1.FC Kaiserslautern vermeldete, war es selbst uneinsichtigsten Bayernfans klar, daß die Münchner sich mit einem Platz im UEFA-Cup begnügen müssen.
Das unbeschreibliche Glück, die Wunderkraft des Glaubens an den Erfolg schien die Mannschaft und ihre Fans verlassen zu haben. Ungläubiges Schweigen, nicht Enttäuschung oder Wut, beherrschte die Seelen der Menschen, die ihr Herz dem FC Bayern verschrieben haben. Das Unbegreifliche war eingetreten: Ihr Verein schaffte es nicht, Fußballmeister dieser Republik zu werden.
Als Sieger ist es leicht, den Haß, die Verachtung und die Aggression der Länder Deutschlands zu ertragen, aber als die Verlierer die Häme, die Freude und die Zufriedenheit der anderen erleiden zu müssen, dies sind neue Erfahrungen für die Fans und den FC Bayern. Weder der ersehnte Thron Europas noch die selbstverständliche Meisterschaft wurden erreicht — ja im Pokal mußte man sich von einem namenlosen Amateurligisten blamieren lassen, trotz der großmäuligen Versprechen, trotz der Spielerkäufe vor der Saison und trotz der Angst der restlichen Mannschaften in der Bundesliga.
Entzaubert, mit leeren Händen und unter dem schadenfreudigen Gelächter der zahlreichen Feinde endet diese Saison. Die Welt ist nicht zu planen und der Erfolg schon gar nicht. Und die Gründe des Scheiterns sind schnell aufgezählt. Aber nicht, wie es Heynckes, der Trainer der Verlierer versucht, indem er auf die elf Minuspunkte im einheimischen Stadion aufmerksam macht. Er verwechselt hier Ursache und Wirkung.
Der Reihe nach: Sicherlich hat ein Torwart wie Aumann während der 90 Minuten im Vergleich zu seinen Mitspielern weniger Kalorienverbrauch. Er muß jedoch in wichtigen, entscheidenden Momenten das Zappeln der Lederkugel im Tornetz verhindern und nicht wie in Belgrad sich den Ball selbst ins Netz legen.
Vor ihm die Abwehr: Auch Denkmäler können vom Sockel gestoßen werden. Augenthaler, siebenmaliger deutscher Meister, muß seiner Spielweise und damit seinen Gebrechen Tribut zollen. Seine Mitspieler in den hinteren Reihen glaubten eher ihren Wünschen als der Wirklichkeit. Das Mittelfeld, oftmals wirr durcheinander gewürfelt, funktionierte nur, wenn der Gegenspieler sich nicht nur aufs Toreverhindern spezialisierte, sondern ihm den berühmten Raum öffnete.
Die Angriffsreihe mit dem begnadeten Fußballspieler Laudrup erfüllte als einziger Mannschaftsteil die vorgegebenen Erwartungen. Es wäre aber zu einfach, den Mißerfolg auf sportliche Fehlleistungen zu reduzieren. Der fand in den Köpfen der Bayern statt: Meister sei man sowieso, und den Europapokal kann man auch holen. Sie vergaßen dabei die Leistungsfähigkeit der vermeintlich Schwachen, die nur einen Wunsch hatten, die „Großen“ aus München zu schlagen.
Aber nicht nur die Mannschaft und der Trainer sind „schuldig“ — mehr noch als diese sind es die Macher. Ihre großspurigen Ankündigungen der Triumphe waren es nicht. Es wäre eher peinlich, hätten sie den Mund nicht so voll genommen. Allein, ihnen fehlte der Seismograph für Volksempfinden. Sie vernahmen nicht das Bündnis der ewigen Zweiten und und angeblich benachteiligten der germanischen Fußballtwelt.
Sie aber labten sich in der Sonne der Erfolgreichen und schürten die Vorurteile. Sich der Wirklichkeit entfremdend, glaubten sie bis zum Ende an die Unantastbarkeit ihrer Planungen. Zu spät kommt der Katzenjammer, daß Klagen über Kohlers wahrscheinlichen Weggang nach Reuter. Wobei Kohler, an den Leistungen gegen Uerdingen gemessen, kein Verlust wäre. Zu spät kommt die Einsicht eines Präsidenten Scherer, die menschliche Natur sieht nun einmal den Reichen gerne straucheln.
Trotzdem: Die Sonne scheint weiter, und Stil haben sie auch bewiesen. Die Glückwünsche der Bayern kommen aus ehrlichen Beweggründen. Ein Hauch von Selbstkritik weht über den Bayernköpfen. Nur bei einem nicht, dem Hoeneß, der zwar Glückwünsche aussprach, aber auf die Peinlichkeit der deutschen Provinz im Europapokal hinwies. Also müssen sie nächste Saison wieder antreten, um alle möglichen Titel zu erorbern. Dies ist auch richtig so, denn was wäre der deutsche Fußballfan, hätte er nicht seinen negativen Bezugspunkt. Einer ist immer der Schuldige im Land. Werner Steigemann
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