KOMMENTARE
: Albaniens Boat people

■ Italiens rigide Ordnungspolitik ist Vorgeschmack auf die Festung Europa

Wie Vieh sind die Albaner, die in den vergangenen Tagen nach Italien kamen, behandelt worden. Erst mußten sie tagelang eingepfercht auf den Schiffen warten, die sie in die vermeintliche Freiheit gebracht hatten. Dann wurden sie unter militärischem Geleitschutz in Gefängnisbusse verladen. Anschließend verfrachtete man sie auf Fähren, die sie just dorthin zurücktransportierten, von wo sie unbedingt wegwollten. Niemand hielt es für nötig, mit den Albanern auch nur zu reden. Niemand sagte ihnen, welche Pläne geschmiedet wurden. Und schon gar nicht, daß sie am Ende der Reise wieder am Ausgangspunkt angelangt sein würden.

Seit Monaten schon haben die italienischen Behörden das Problem der Boat people aus dem Nachbarland vor sich hergeschoben. Die Zusammenstöße, zu denen es in den Internierungslagern fast zwangsläufig kommen mußte, haben sie dabei bewußt in Kauf genommen. Am Wochenende schien ihnen die Zeit reif für radikale Lösungen. Es mag sein, daß viele der Albaner keinen Anspruch auf politisches Asyl haben, daß sie keine „Flüchtlinge“ im Sinne der Genfer Konvention sind. Doch nach internationalem Recht hätte ihnen zumindest die Gelegenheit gegeben werden müssen, einen Asylantrag zu stellen. Dieses elementare Recht ist ihnen in Italien verwehrt worden. Die übrigen westeuropäischen Regierungen — die EG eingeschlossen — haben bei dem menschenunwürdigen Treiben in Italien interessiert zugeschaut. Proteste sind nicht laut geworden. Hinter dem komplizenhaften Schweigen steckt System. Denn überall in Westeuropa liegen ähnliche Armutsgrenzen in bedrohlicher Nähe. Und auch in zahlreiche andere westeuropäische Länder haben längst größere Bewegungen von Armutsflüchtlingen eingesetzt. Spanier und Franzosen rechnen bis zum Ende dieses Jahrzehnts mit Millionen von Maghrebinern. Deutschland, Österreich und die skandinavischen Länder zittern vor prophezeiten Zigmillionen von Osteuropäern.

Eine Migrationspolitik, die den Ankömmlingen anders als mit vorgehaltenem Gewehr begegnet, ist nicht in Sicht. Statt dessen werden zusätzliche Truppen an die Ostgrenzen verlegt, und immer mehr Kriegsschiffe patrouillieren im Mittelmeer, deren eigentliche Aufgabe es ist, Boat people fernzuhalten.

Mit der Verfrachtung der Albaner hat die italienische Regierung eine Kostprobe davon gegeben, was künftige Migranten und Flüchtlinge an den Mauern der Festung Europa erwartet. Dorothea Hahn