„Wie Gangster bringen sie die rüber“

Italien schifft Hunderte albanische Flüchtlinge in ihre Heimat zurück — mit Zwang, Tricks und unter Mißachtung des Asylrechts/ Ausländische Kapitäne hatten sich geweigert, die Flüchtlinge gegen ihren Willen nach Albanien zu befördern  ■ Aus Ancona Werner Raith

„Wenn die letzten paar hundert nicht gerade hier in Ancona eingetrudelt wären“, sagt der Dritte Offizier der Hafenpolizei, „und nicht ausgerechnet an diesem Wochenende, wo mehr als fünfzehntausend Touristen just auf die Kais und die Schiffe wollen, auf denen die Albaner zusammenhocken, wäre die Sache weiter im üblichen römischen Bürokratenchaos steckengeblieben.“ Gerüchte gehen um, daß gleich mehrere Ministergattinnen sich just an diesem Wochenende von hier aus auf Kreuzfahrt begeben wollten. Sicher ist, daß die adriatische Hotellerie Weltuntergangsgerüchte streute für den Fall, daß mehrere tausend noch immer in Apulien zusammengedrängte albanische Flüchtlinge, wie von den Präfekten angeordnet, in Hotels und Campingplätzen Mittel- und Oberitaliens untergebracht würden.

Also entschloß sich die Regierung, Stärke zu zeigen. Gleich mehrere tausend sogenannte „Ordnungskräfte“ — Carabinieri, Polizei, Finanzwache und, im fernen Dienst, auch Marineeinheiten — wurden aufgezogen, die zuletzt angekommenen gut achthundert auf drei griechischen Fähren campenden Albaner mitten in der Nacht zum Sonntag in Häftlingswagen verstaut, nebenan auf ein italienisches Schiff verfrachtet und auf den Weg nach Albanien geschickt. „Wie Gangster“, entsetzten sich selbst hartgesottene Seemänner, als sie die von der Überfahrt verbrannten Gesichter der Fremdlinge hinter den Eisenstäben der Gefangenentransporter sahen. Doch die Asylsucher grinsten, winkten und schienen allesamt eher glücklich. Wenig später, die Luken der Fähre waren gerade dichtgemacht, das Schiff von Anker gegangen und mit einem langen Schwanz von Journalisten-Motorbooten abgedampft, gab ein Polizeisprecher kleinlaut zu, daß „die vielleicht nicht alle gemerkt haben, daß wir sie wieder zurückexpedieren“. Die Flüchtlinge glaubten offenbar, man fahre mit ihnen nach Sizilien.

Die Aktion sollte in allen Häfen, in denen neue Flüchtlinge angekommen waren, gleichzeitig stattfinden, in Triest, in Venedig, in Bari, in Otranto und eben hier in Ancona, wo das größte Kontingent eingelaufen war. Doch das Problem erwies sich als verwickelter als zunächst angenommen, und die Lösung, die die Italiener mit der überfallartigen Zwangsausweisung bewerkstelligen, funktioniert nur mit allerlei Verletzungen des Völkerrechts — von menschlichen Schweinereien wie dem Trick falscher Zielangabe abgesehen.

Ein Teil der Neuzugänge nämlich war von den griechischen Fähren auf ausdrückliches Ersuchen der italienischen Behörden an Bord genommen worden: Mehrere der Flüchtlingskutter hatten echte oder fingierte Havarien gemeldet, kaum daß sie in die Nähe der italienischen Gewässer gekommen waren. Auf einem waren sogar zwei Tote, ein 16jähriger und ein 20jähriger, gefunden worden, erschossen von den albanischen Küstenwachen; diese wollten möglicherweise ihre Entschlossenheit gegenüber dem sonst augenzwinkernd geduldeten Exodus meist Arbeitsloser beweisen — nachdem kurz zuvor der italienische Außenminister De Michelis in Tirana aufgekreuzt war.

Doch nun war da in Italien die Frage, wie weiter. Die ausländischen Kapitäne — Griechen, Türken, Russen — weigerten sich, mit den ungebetenen Gästen nach Albanien zurückzufahren. Zum Teil war dies weder ihre Route, noch hatten sie die Mittel, sich mit der zu erwartenden Depression oder Wut der Albaner auseinanderzusetzen.

Vor der Verbringung der Albaner auf italienische Schiffe jedoch warnten die Amtsjuristen: Die Albaner könnten beim Betreten italienischen Bodens sofort Asylanträge stellen und müßten dann bis zum Abschluß des Verfahrens dabehalten werden. Mehr noch: Viele Anwälte vertraten die Ansicht, daß bereits die Tatsache, daß die Italiener ausländische Schiffe autorisierten, die Flüchtlinge an Bord zu nehmen, diesen das Recht zugestehe, einen Asylantrag zu stellen. Die Albaner hätten überdies auch beim Kapitän als Träger italienischer Hoheit ihr Recht auf Asyl geltend machen können. — Also ein Trick: Man hielt die Albaner bis zum Spätnachmittag bei Laune im Glauben auf baldiges Andocken in einem italienischen Zielhafen, dampfte dann in die Dämmerung hinein — am Montag sollten dann die Albaner ihre Leute zurückhaben. Garantien für Straffreiheit sollte es gar für 300 mitgekommene Soldaten geben.

Doch am Sonntag kam die Nachricht, daß die so schön geplante Aktion nur ein Teilerfolg war: Die in Venedig und Triest eingelaufenen Albaner waren noch nicht umverladen worden; die Russen hatten einen Motorschaden gemeldet und machten offenbar dessen unentgeltliche Reparatur zur Bedingung dafür, daß sie die Radios mit den Rücksendemeldungen abgeschaltet hielten, bei anderen Schiffen hatte man vergessen, die notwendige Eskorte beizubringen. Und in der Nacht waren, keiner weiß wie, plötzlich in Otranto wieder gut fünfzig neue Asylbewerber angekommen — sie waren von ihren Kurieren vorsichtshalber bereits an Land gesetzt worden, bevor man sie auf Schiffen festnageln konnte. Von den großen Heimkehr-Dampfern konnten sie nicht stammen — die Eskortenschiffe hatten Befehl, „jeden Versuch des Umladens auf andere Schiffe notfalls mit Waffengewalt zu unterbinden“.