RUNDERTISCHSCHWULENPOLITIK  ■  HÄUSLICHE HOMOS

Sie kennen keine Fraktionen mehr, sie kennen nur noch ihresgleichen: die Homosexuellen. Nach dem Skin-Überfall auf Charlottes Gründerzeitmuseum setzt sich unter Berlins Lesben und Schwulen der Burgfrieden durch — und damit ist nicht nur die gleichnamige Prenzelberger Kneipe gemeint. Bereits zur Vorbereitung der Demo gegen die Mahlsdorfer Attacke fand sich gegen Rechts ein seltenes Bündnis von Schwusos über Sonntagsclub bis zu den Autonomen zusammen. Doch da zu einem richtigen Burgfrieden auch eine Burg gehört, in die man sich bei Gefahr verkriechen kann, wurde neben dem Ruf nach mehr Aufklärung in den Schulen auch die Forderung nach einem Lesben- und Schwulenhaus wieder laut: Nach einem großen Haus, das man besser als kleine, dezentrale Projekte gegen Skinheads verteidigen könne.

Wie passend, daß in Ostberlin eine derartige Initiative bereits nach der Wende entstand. Von der breiten lesbisch-schwulen Infrastruktur im Westen inspiriert, entwicklte eine Gruppe von 20 Leuten den Plan, in einem alten Stasi-Gebäude eine Galerie, Bibliothek, Kneipe, Übernachtungsmöglichkeiten usw. für Homos unterzubringen und damit den Nachholebedarf der einstigen DDR-Hauptstadt zu stillen. Der sterbende Staat zeigte sich dabei aufgeschlossen: Runder Tisch, Stadtverordnetenversammlung und selbst der Magistrat schrieben sich die Umsetzung eines Lesben- und Schwulenhauses auf die Fahnen. Nur die Vereinigung stoppte das Unterfangen; die Treuhand findet das Projekt schlichtweg »nicht förderungswürdig« und der Senat hat wohl »Wichtigeres« zu tun. Für Homosexuelle schreibt Bürgermeister Diepgen halt lieber Grußworte — im Gegensatz zu Häusern kosten die nämlich kein Geld.

Grund genug für den tapferen schwulen Volksvertreter Christian Pulz (Ex-DDR- CDU, heute Bündnis 90), erstmals auf die parlamentarischen Barrikaden zu klettern und das Senatorenkabinett mit Kleinen Anfragen zu torpedieren. Antworten bekam er bislang allerdings nicht. Was liegt für Pulz also näher, als heute abend zu einem »Schwulenpolitischen Runden Tisch« ins Rathaus zu laden (Lesben dürfen auch kommen), um sich Hilfe und Tips für den weiteren Kampf zu erbitten.

Zumindest unter den westlichen Berufsschwulen fand das Hausprojekt bereits großen Anklang. In der Hoffnung, die im Westen gefährdeten Projekte jetzt über die Ostschiene retten bzw. erweitern zu können, klinkte man sich ein. Unterwandert fühlt sich die Ost-Initiative dadurch nicht. »Wir sind für alle offen«, betont deren Sprecherin Dagmar Harmsen. Den SkeptikerInnen hält sie entgegen: »Wer nicht ins Haus hinein will, kann ja draußenbleiben.«

Doch hinter diesen beiden Sätzen steht noch immer die Mär des »Wir sitzen alle in einem Boot«. Damit sollte Dagmar Harmsen jedoch vorsichtig sein: Denn das Boot, das sich allein auf die Vorliebe fürs gleiche Geschlecht stützt, ist nur ein alter Holzkahn, mit dem man allzuleicht untergehen kann. Und im Gegensatz zu den Wessis hätten die Ossis dann nicht einmal einen Rettungsring. Micha Schulze

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