Die Renate bringt das spielend

Renate Schmidt, Vizepräsidentin des Bundestages und erste Chefin der bayerischen SozialdemokratInnen, ist im Bierzelt genau so souverän wie auf der Bonner Bühne. Und dazu eine Frau, die sich nicht über den Tisch ziehen läßt.  ■ VONHELGALUKOSCHAT

Vielleicht dachten sich die Mannen von der bayerischen SPD: Wir haben nichts mehr zu verlieren, dann darfs auch eine Frau sein. Vielleicht aber lieben die Genossen sie tatsächlich. So oder so, seit Ende April ist eine Frau Chefin der bayerischen SPD, zum ersten Mal in der Geschichte der Sozialdemokratie, noch dazu eine, die am Stammtisch glatt als Emanze gelten kann. Eine „Frau wie aus der Wundertüte“, schrieb der 'Vorwärts‘. Seitdem repetieren das die JounalistInnen. Aber sie ist es ja tatsächlich, diese Frau mit dem ganz normalen deutschen Namen Schmidt.

Daß sich Renate Schmidt als Vizepräsidentin des Bundestags auf der Bonner Bühne ebenso sicher bewegt wie im Bierzelt des heimischen Wahlkreises — das gehört dazu zum Politikerinnen-Dasein. Auch den Terminstreß zu bewältigen, aus dem Stand über die unterschiedlichsten Themen parlieren zu können, unterscheidet sie nicht von ihren KollegInnen. Aber ihr Charme, ihre Herzlichkeit. Keine Spur von schmallippigem Ehrgeiz. Der volle Mund, die braunen Augen sind umrahmt von wuscheligen Löckchen, einst blond, jetzt leicht ergraut. Für die gängigen Schönheitsideale ist sie entschieden zu rund und das fränkische Idiom, die heftigen L und R, die hat sie auch nicht abgelegt. Mit ihren 47 Jahren vermittelt sie durchaus etwas von bayerischer Lebenslust und Sinnenfreude.

Vor allem aber ist es ihre Biographie, die den Rahmen der üblichen Bonner Karrieren sprengt, der männlichen sowieso. Kurz vor dem Abitur ging Renate Schmidt von der Schule ab, sie erwartete ein Kind. Damals, Anfang der 60er Jahre, war das noch eine „Schande“. Sie arbeitete in der Fabrik, stieg dann ein in einen Männerberuf, qualifizierte sich in Nürnberg beim Quelle-Konzern zur Programmiererin, machte schließlich Karriere als gut bezahlte Systemanalytikerin. Sie wurde Betriebsrätin, engagierte sich in der Kommunalpolitik, seit 1972 ist sie in der SPD. Drei Kinder bekam sie und „hat keinen Tag aufgehört zu arbeiten“, wie sie stolz erzählt. Seit 1980 ist sie für die SPD im Bundestag, den Wahlkreis Nürnberg-Nord hat sie im Direktmandat dem früheren Bundesbauminister Oskar Schneider abspenstig gemacht. 1987 wurde sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und Vorsitzende über den Arbeitskreis Gleichstellung von Mann und Frau. Ihre Ämter in der Fraktion gab sie auf, als sie erfolgreich für das Amt der Bundestags-Vizepräsidentin kandidierte.

Und nun soll sie also als weibliche Wunderwaffe die bayerischen Sozialdemokraten aus ihrem Tief einer 26-Prozent-Partei führen. Ihre Bedingung für den Job: eine Parteireform. Wie sie das durchgesetzt hat, das brachte ihr auch bei konservativen Kommentatoren Respekt ein, waren in den letzten 42 Jahren doch vier bayerische Landesvorsitzende daran gescheitert. Nun wurden die drei mächtigen „Bezirksfürsten“ der Bezirke Franken, Südbayern und Niederbayern/Oberpfalz zugunsten der neuen Vorsitzenden entmachtet, der Landesverband Bayern ist mit 116.000 Mitgliedern jetzt einer der größten in Deutschland überhaupt, die neue Organisationsstruktur soll ihn schlagkräftiger machen. Wie sie das geschafft hat? „Sturheit“, sagt Renate Schmidt. Und fügt beflissen hinzu, wie schwer es ihr falle, mit Menschen, die „einem lieb und teuer“ sind, harte Auseinandersetzungen durchzustehen. Das mache ihr gar kein gutes Gefühl. Als ob es ihr anrüchig ist, womöglich als knallharte Machtpolitikerin dazustehen — die sie nicht ist. Aber keiner sollte versuchen, diese Frau über den Tisch zu ziehen.

In Bayern will sie der CSU Stimmen abjagen, das ist ihr erklärtes Ziel, von aufreibender Konkurrenz mit den anderen Oppositionsparteien, der FDP und den Grünen, hält sie nichts. Und sie gibt sich überzeugt, daß es bei der CSU ein Potential an WählerInnen gibt, das sich bei der SPD aufgehoben fühlen kann. Kleine und mittlere Selbständige oder Handwerker zählt sie dazu, Aufgeschlossenheit für sozialdemokratische Programmatik sieht sie selbst bei UnternehmerInnen. Das mag sein, doch wie steht es mit kulturellen und religiösen Unterschieden, mit der traditionellen Fremdheit zu den „Sozis“? Das will sie so nicht gelten lassen. Die Religion spiele nicht mehr die Rolle wie früher, abgesehen davon wolle sie ja nicht die allerhartnäckigsten LebensschützerInnen für ihre Politik gewinnen. Und verwahrt sich gegen Vorurteile von den bornierten Bayern. „Die Liberalitas Bavariae“, sagt sie ganz energisch, „die gibt es durchaus.“

Kirchweihzug in Nürnberg-Mögeldorf, zwischen den Bäckern und der Arbeiterwohlfahrt marschiert der SPD-Ortsverein, die Leute winken und klatschen, wenn sie „die Renate“ erkennen, die rote Nelken verteilt, lacht und charmiert. Ein junger Freiwilliger von der Feuerwehr erkundigt sich nach einem ihrer Söhne, es geht nachgerade familiär zu und doch ist auch ein bißchen ehrfürchtige Bewunderung dabei, sie ist jetzt doch ein recht hohes Tier, gerade sowas wie die Süßmuth. Allerdings kann man sich Rita Süßmuth kaum maßkrugschwenkend bei der Kirchweih vorstellen, die Renate bringt das spielend. Sie habe eben keine Berührungsängste, sagt sie. „Mich interessiert wahnsinnig, was die Leute so treiben, ob im Bierzelt oder anderswo.“ Dort klopft einer auf der Bühne gerade Sprüche: „Blaue Augen hat die treue Frau, drum schlage ihr die Augen blau.“ Ein paar Frauen rufen lauthals Buuh, Renate Schmidt lacht darüber hinweg.

Unter einem Kanzler Oskar Lafontaine wäre sie gerne Frauenministerin geworden; das Kapitel ist nun erstmal abgeschlossen. Zur Frauenpolitik kam sie spät, aber dort profilierte sie sich, vor allem ihr Engagement für die Streichung des Paragraph218 machte sie bekannt. Als sie in den Bundestag einstieg, da kümmerte sie sich um Themen wie Bafög, Zivildienst, Tierschutz, mit Antje Vollmer von den Grünen engagierte sie sich für die Entschädigung von NS-Verfolgten. Sie war in Nürnberg bekannt und beliebt, als gestandene Gewerkschafterin, aber auch als Frau, die sich gegen die Nachrüstung und für die Ziele der Friedensbewegung einsetzte. Auf der Bonner Bühne blieb sie eher im Hintergrund. Ein „Glanz“ wie heute war sie jedenfalls noch nicht, die Fotos aus dieser Zeit zeigen eine brave, biedere Sozialdemokratin. Heute ist sie von einer strahlenden Vitalität, eine witzige Mischung aus Sexappeal und kumpelhafter Herzlichkeit.

Gab es Zäsuren, gab es Einbrüche in ihrem Leben? „Nein“, anwortet sie überraschend schnell. Im Rückblick erscheint ihr wohl alles so geradlinig, daß sie auf einen wichtigen Einschnitt in ihrem Leben erst im Nachsatz eingeht. 1984 starb überraschend ihr Mann, 23 Jahre war sie mit ihm zusammen. Während sie beruflich und politisch Karriere machte, hatte er den Haushalt geführt, war dafür bestaunt und bespöttelt worden. Plötzlich fehlte ihr ein Weggefährte, Freund, Berater. Fast zwei Jahre benötigte sie, um den Verlust zu verkraften, war in dieser Zeit kaum ansprechbar, zog sich zurück. Als sie dann „wiederkehrte“, war eine Metamorphose mit ihr vorgegangen. Sie habe sich nicht vom Verstand her entschieden, so jetzt machst du weiter, erzählt sie heute. Es ging fließend, allmählich, dann, bei einem Urlaub in der Toskana, habe sich etwas in ihr „gelöst“. Kurz darauf lernte sie auch ihren heutigen Freund kennen, einen Schriftsteller und Wissenschaftler. Ein „aufrechter Linker“, wie sie sagt, und das Zusammensein ist nicht immer einfach, weil er wohl mißtrauisch beobachtet, ob sie glaubwürdig bleibt, und weil es für ihn schwierig ist, mit einer so „wahnsinnig erfolgreichen Frau“ zusammen zu sein. Unter einem Dach zu leben, das ginge schon gar nicht. Renate Schmidt ist stolz auf ihren Erfolg, auf ihre Leistungsfähigkeit, „Gejammer“ über ihren 16-Stunden-Arbeitstag erlaubt sie sich nicht, schon Fragen danach sind ihr eher lästig. Auch die Zeit fürs Private wird „organisiert“, und da lebe sie „ganz normal“. Und weil sie offenbar die Erfahrung hat, daß ihr das niemand so recht glauben will, fügt sie mit Nachdruck hinzu: „Ja, wirklich.“ Normal? In dem winzigen Häuschen mit seinem verwilderten Garten fühlt man sich eher wie bei „Grünens“ als bei einer hohen Repräsentantin des Staates. Ein Knusperhäuschen, ein Rückzugsort, voll mit Büchern und Bildern. Dort hat sie so viele Jahre mit ihrem Mann und ihren Kindern zugebracht. Nach dem Tod ihres Partners zogen ihr älterer Sohn und seine Freundin wieder dazu, weil der jüngste Sohn erst vierzehn war, und sie ihn nicht in einem Internat unterbringen wollte. Seitdem lebt sie dort in wechselnder Konstellation in kleinen familiären Wohngemeinschaften. Fast trotzig, so scheint es, will sie das gängige Bild widerlegen, ein Politikerinnendasein, wie sie es führt, hinterlasse zwangsläufig Spuren und Blessuren. Wenn es denn auch bei ihr die Deformatione professionelle gibt, so hält sie sie gut verborgen. Ihr Vorstellung von Emanzipation ist eng mit Beruf und Erwerbstätigkeit verbunden, das entspricht ihrer Biographie und fügt sich ein in sozialdemokratische Positionen. Als Renate Schmidt im Beruf schlechter bezahlt wurde als ihre männlichen Kollegen, da hatte sie um gleichen Lohn gekämpft, mit ihrem Mann erfolgreich darum gefochten, die Hausarbeit aufzuteilen. Aber niemals wäre es ihr zu dieser Zeit in den Sinn gekommen, sich als Vorkämpferin für die Sache der Frauen zu begreifen. In einem Beitrag für die taz, Stichwort 20 Jahre Frauenbewegung, schrieb sie: „Im Jahr 1968 hätte ich auf die Frage: Bist du Feministin? noch mit Unverständnis reagiert. 1988 bin ich sauer, wenn ich von Feministinnen ausgegrenzt werde.“ Aber die Revolte der Frauen, die mitreißende, anstrengende, oft auch scheiternde Suche nach autonomen Lebensmöglichkeiten jenseits männlicher Modelle, die hat sie nicht miterlebt, der kulturelle Feminimus ist ihr fremd geblieben. Das SPD-Gleichstellungsgesetz, das unter ihrer Regie entstanden ist, will Benachteiligungen von Frauen in der Erwerbsarbeit abbauen, es sieht Quoten und Frauenförderung im öffentlichen Dienst und arbeitsrechtliche Verbesserungen vor; das ist alles wichtig, aber Feminismus kann eben mehr sein als „Gleichstellung“.

Renate Schmidt ist keine intellektuelle Politikerin wie Rita Süßmuth oder Antje Vollmer, sie brilliert nicht mit gesellschaftspolitischen Analysen, ihre Sache ist die handfeste Politik. Zum Beispiel zum Paragraph218. Da hatte sie letzten Herbst, beim Runden Tisch der Frauen, eine interfraktionelle Initiative für eine Fristenregelung vorangebracht, die sowohl von grünen Frauen als auch von den FDP-Politikerinnen unterstützt wurde. Bis die FDP-Frauen zurückgepfiffen wurden, und die Liberalen einen Entwurf vorlegten, der in entscheidenden Punkten, Stichworte Zwangsberatung und Strafbarkeit der Frau, hinter den Vorstellungen der SPD zurückbleibt. Natürlich war sie enttäuscht, als die FPD-Frauen ausstiegen. Aber man dürfe auch nicht zuviel erwarten von der „parteienübergreifenden Frauensolidarität“. Nun bastelt die SPD an ihrem eigenen Entwurf, das Kunststück will vollbracht sein, das frauenfreundliche Profil zu wahren und doch der FPD entgegenzukommen. „Es hilft ja nichts“, sagt Renate Schmidt, „mit verschiedenen Entwürfen in Schönheit unterzugehen. Sondern wir brauchen eine Mehrheit für ein Gesetz, das besser ist als die bisherige Indikationenregelung.“ Kleine Schritte machen, Kompromisse schließen — das Einmaleins der Realpolitik beherrscht sie aus dem Effeff. Für die Öffentlichkeit werden die Statements dann glatt und routiniert, der Kompromißpartner darf nicht verschreckt werden.

Eine leichte Müdigkeit, ein leichter Überdruß an der Frauenthematik ist bei ihr zu spüren, auch wenn sie beteuert, sie immer „im Hinterkopf“ zu haben. Aber energischer gibt sie zu Protokoll, daß sie in der Frauenpolitik keine „Lebensaufgabe“ sieht. „Die Frauen wollen sich überall einmischen“, erklärt sie, und dann mit Nachdruck, jedes Wort betonend, „und ich auch.“ Damit steht sie nicht allein. Eine Reihe von Politikerinnen, die sich über die Frauenpolitik profilierten, sehen es an einem bestimmten Punkt ihrer Karriere nicht ungern, wenn sie sich woanders „einmischen“ können. Das verspricht mehr Einfluß, mehr Macht. Und die will sie haben, keine Frage.