„Laßt ihm seine Liebe“ — Der Fall Mehmet Shehu

Am „Selbstmord“ des ehemaligen albanischen Ministerpräsidenten soll nun eine Liebesgeschichte schuld sein  ■ Von Roland Hofwiler

Im Organ des ZK der Kommunistischen Partei Albaniens 'Zeri i populit‘ war am 27. Mai 1985 zu lesen: „Einst gelang es Mehmet Shehu, dem geheimen Agenten der Amerikaner, der Sowjets und der Jugoslawen, der albanischen Führung beizutreten. Doch er konnte die marxistisch-leninistische Linie der Partei weder entstellen noch verändern. Er wurde beseitigt, weil er gegen das Volk arbeitete.“

Bashkim Shehu gibt sich sachlich. Keine Wut, keinen Haß im Gesicht, als er am Wochenende seine Leidensgeschichte vor laufenden Kameras des staatlichen Fernsehens erzählt. Von Folterkammern und Lagern berichtet er und von seinem Verbrechen — das keines war. Die Delinquenten waren sein Vater, der Ministerpräsident, und sein fast gleichaltriger Onkel.

Es geschah im Jahre 1980. Bashkims Onkel verliebte sich in eine junge Frau. Doch die war aus schlechtem Hause, aus einer Großfamilie, in der mehrere Männer wegen „politischer Subversion“ und „Republikflucht“ zum Todfeind Jugoslawien im Gefängnis saßen. Eben nichts für einen Shehu. Und als an Vater Mehmet Shehu die berüchtigte Geheimpolizei „Sigurimi“ herantrat, er solle seinen Bruder zur Besinnung bringen, da sagte dieser knapp: „Mein Bruder ist noch jung, laßt ihm seine Liebe.“

Ein folgenschwerer Satz für einen Ministerpräsidenten im sozialistischen Albanien. Glaubt man Bashkim Shehu, so mußten sein Vater und sein Onkel die Liebesgeschichte mit dem Tod bezahlen, seine Geschwister und Mutter mit Selbstmord. „Ich liebte meinen Vater, er war ja mein Vater, aber ich weiß, er war so fanatisch in seiner Ideologie, einen wahren Sozialismus aufzubauen, daß auch er verantwortlich zu machen ist für Sippenhaft und obskurste Anklagen.“

Sowohl Hoxha als auch Shehu „waren paranoid“

Auf die Frage, ob die Liebesgeschichte dem damals ersten Mann im Staate, Parteichef Enver Hoxha, nicht als Vorwand diente, seinen Nebenbuhler auszuschalten, ähnlich wie dies einst Stalin mit dem gesamten Politbüro der KPdSU geschehen ließ, antwortete Bashkim Shehu: Sein Vater sei ein ebenso großer Stalin-Verehrer gewesen wie Hoxha. Aber beide Männer sahen Spione, verdeckte Feinde überall, selbst in der engsten Familie. „Sie waren so paranoid, daß sie letztendlich an Komplotte wirklich glaubten“, so Bashkim Shehu.

Und so kam es, daß am 17. Dezember 1981 das Politbüro der Kommunistischen Partei Albaniens zusammentrat um die „Vorfälle in der Shehu- Großfamilie“ zu beratschlagen. Im Verlauf dieser Zusammenkunft starb der Ministerpräsident — und die Weltpresse war voll von Spekulationen, welche internen Machtkämpfe zwischen Hoxha und seinen engsten Vertrauten ausgebrochen sein könnten. Nahrung dafür gaben immer wieder neue offizielle Versionen. Zuerst hieß es: „In einem Zustand nervöser Depressionen schied Shehu freiwillig aus dem Leben.“ Später dann sprachen die KP-Medien davon, es habe sich herausgestellt, daß Shehu als getarnter Spion Jugoslawiens jahrzehntelang „innere Staatsfeinde zur Rebellion aufhetzte.“ Doch als dann die Belgrader Auftraggeber von Shehu verlangten, er habe Enver Hoxha umzulegen, dies werde man ihm damit belohnen, ihn als „Alleinherrscher“ über ein „neues Albanien“ einzusetzen, das unter jugoslawische Schutzverwaltung gestellt werde, da habe der „gewiefte Spion“ es vorgezogen, Selbstmord zu begehen.

Und alle Angehörigen seiner Familie verschwanden im Lager. „Dort sollten wir alle langsam sterben“, so nun Bashkim Shehu. Er habe überlebt, da er bei grausamen Folterungen gestanden habe, ein internationaler Spion wie sein Vater gewesen zu sein. Fortan verbrachte er acht Jahre in KZ-ähnlichen Lagern, in „Käfigen“, wie sie genannt wurden.

Auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Albaniens wurde diese Abrechnungsgeschichte von keinem einzigen Delegierten auch nur mit einem Wort erwähnt.