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Der bittere Sieg der Kongreßpartei

Bei den indischen Parlamentswahlen konnte die Kongreßpartei keine absolute Mehrheit erringen und sucht nun nach Koalitionspartnern/ Dazu muß sie sich zu einer Entscheidung über den Premierminister-Kandidaten durchringen  ■ Aus Neu-Delhi B. Imhasly

Die indische Kongreßpartei hat in den Wahlen zum gesamtindischen Parlament keine absolute Mehrheit errungen und wird nach einem Koalitionspartner Ausschau halten müssen. Nach Auszählung von 300 der zur Wahl stehenden 511 Parlamentssitze hat die Kongreßpartei 168, die Bharatiya Janata Partei (BJP) 73 , und die Janata Partei 24 Sitze gewonnen. Gemäß bisher verläßlichen Hochrechnungen ergibt dies für den Kongreß eine Sitzzahl von 215 Sitzen, knapp 40 unter der absoluten Mehrheit. Sie muß nun entscheiden, wer ihr Parlamentsführer — und künftige Premierminister — sein soll. Koalitionspartner kann sie unter den gegebenen Umständen nur links vom Zentrum finden.

Im Süden des Landes, wo Rajiv Gandhi bei einer Wahlveranstaltung vor einem Monat einem Attentat zum Opfer fiel, gelang es der Kongreßpartei in einer Sympathiewelle die WählerInnen des Landes zu erfassen. In der Mehrzahl der nördlichen Staaten war noch vor dem Tode Gandhis gewählt worden. In den Südstaaten Kerala und Tamil Nadu, die zugleich auch ihre Provinzparlamente bestellten, konnten der Kongreß und seine Alliierten die überwältigende Mehrheit der Mandate gewinnen.

Auch in Karnataka und in Maharashtra wird die Partei Nehrus und Mahatma Gandhis die Mehrheit erreichen, und in Madhya Pradesh und Rajasthan profitiert sie davon, daß die Hälfte der Sitze erst in der zweiten Runde entschieden wurde.

In der bevölkerungsreichen Ganges-Ebene dagegen hat die Partei schwere Verluste entgegennehmen müssen. Hier konnten die BJP und die Janata Dal den Vormarsch der Kongreßpartei entscheidend zurückweisen. Nach dem vorliegenden Auszählungsstand gewann der Kongreß im bevölkerungsreichen Uttar Pradesh, das 85 Parlamentarier nach Delhi entsendet, erst sechs Mandate, während die BJP bei einem Auszählungsstand von 58 Sitzen mit 38 bereits fünfmal so viele Sitze als 1989 hat. Bihar präsentiert eine ähnlich günstige Situation für den Janata Dal, der bei 33 von insgeamt 54 Sitzen etwa die Hälfte für sich beansprucht (Kongreß: 2).

Aber die Janata Dal V.P.Singhs brachte es nicht fertig, ihr Credo — die soziale und politische Besserstellung der unteren Kasten — zum beherrschenden Wahlkampfthema zu machen. Im Vordergrund hatte vielmehr die Auseinandersetzung um die Hindu-Identität gestanden, und die hatte nur durch den Kongreß und die Gandhi-Sympathiewelle neutralisiert werden können. In praktisch allen Staaten — mit Ausnahme Bihars und von Andhra Pradesh — wurde die von Singh zusammengehaltene Allianz fast vernichtet.

Doch auch die rechtshinduistische BJP, die selbstbewußt die Regierungsübernahme angepeilt hatte, gewinnt statt der erhofften 160 Sitze nur etwa 115 Mandate. Auffällig ist, daß sie in den beiden Staaten Madhya Pradesh und Rajasthan zusammen über die Hälfte der Sitze einbüßen dürfte. In diesen beiden Staaten bildet die BJP seit zwei Jahren die Regierung, und es ist nicht von der Hand zu weisen, daß dies die Quittung der enttäuschten WählerInnen über die mittelmäßige Regierungsführung der BJP ist.

Noch bevor alle Wahlresultate vorliegen, beginnen in Delhi die Parteispitzen Stellung zu beziehen. Einzelne ParteivertreterInnen des Kongreß sprechen sich für eine Minderheitsregierung aus, im Vertrauen auf die punktuelle Unterstützung verschiedener Parteigruppierungen. Andere, wie der frühere Finanzminister Pranab Mukherjee, sind grundsätzlich offen für eine formelle oder informelle Absprache mit den Kommunisten. Diese werden mit 30 bis 40 Abgeordneten gerade jene Zahl aufweisen, welche dem Kongreß fehlen dürfte. Auch der Chefminister von Westbengalen, Jyoti Basu, der seine CPI(M) wiederum zum Sieg in den Provinz- und Parlamentswahlen geführt hat, signalisierte vorsichtig eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Basu ist Indiens erfahrenster Landesfürst, und vierzehn Amtsjahre in Kalkutta haben ihn einen politischen Pragmatismus gelehrt, der sich immer weniger hinter Fassade marxistischer Rhetorik verbirgt und ihn zu einem schwierigen, aber verläßlichen Partner machen dürfte.

Dies trauen die Kongreß-Politiker der Janata Dal von V.P.Singh nicht zu. Für viele trägt er immer noch das Stigma des Vatermörders, das er mit seiner Opposition zu Rajiv Gandhi im Bofors-Konflikt erworben hat. Die Partei von Chandra Shekhar wurde in den Wahlen praktisch ausradiert.

Noch unwahrscheinlicher ist ein Zusammengehen mit der BJP, welche von allen anderen großen Parteien als „Unberührbare“ behandelt wird. Ihrem Führer L. K. Advani kommt dies gelegen, denn nach dem Experiment mit der letztjährigen Unterstützung von V.P.Singhs Minderheitsregierung will die Partei sich bereithalten, bis sie in einem nicht zu fernen Zeitraum den endgültigen Angriff auf die Regierungsmacht lancieren kann. Für die Kongreßpartei steht nun jedoch die erste Belastungsprobe bevor: Sie muß ihren Fraktionsführer wählen, der dann als Premierminister von Präsident Venkataraman eingeladen wird, eine Mehrheit des Parlaments hinter sich zu scharen.

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