Procynosuchus — die Hundezähneechse aus Korbach

■ Sensationeller Fossilienfund in Nordhessen/ Vorläufer der Säugetiere, doch der Mensch stammt eher von einem Aminosäuregemisch ab/ Scharfer Verweis der Forscher für Umweltminister Fischer

Korbach (taz) — Das Urviech heißt Procynosuchus sp. (Cyonodontia Procynosuchidae), lebte vor etwa 230 Millionen Jahren in der Wüste „Nordhessen“, die in etwa dort angesiedelt war, wo heute die afrikanische Sahelzone beginnt. Die Hundezähneechse, so die „legere Übersetzung“ ihres ganz speziellen gegenwärtigen Forschers Wolfgang Munk vom Karlsruher Naturkundemuseum, war noch kein Säugetier, aber auch kein Reptil mehr, hatte „wahrscheinlich schon ein Fell“ und hielt sich am Ufer eines Meeres auf, das in der Zechstein-1-Zeit große Teile der nördlichen Landmasse bedeckte. Aus der Gruppe dieser „säugetierähnlichen Reptilien“ haben sich dann in der Trias die frühen Säugetiere entwickelt. Doch der Mensch, so Munk, stamme nur bedingt direkt vom Procynosuchus ab.

In der einzigen hessischen Hansestadt Korbach im Landkreis Waldeck-Frankenberg präsentierte der Paläontologe Munk — zusammen mit Geologen und Denkmalpflegern — gestern einen Teil des Unterkiefers dieses „ältesten Fossilienfundes in Westeuropa“, so Landrat Böckemeier nicht ohne Stolz und unter dem Beifall der geladenen Wissenschaftler. Das einst mit Schneidezähnen bewaffnete gute Stück stammt aus dem Kalkstein der Felsspalte eines Steinbruchs in Korbach, die sich wahrscheinlich bei einem prähistorischen Erdbeben bildete und in die hinein offenbar Pflanzen und Tiere des Erdzeitalters „Zechstein“ bei dieser Naturkatastrophe gespült worden waren.

Aufgrund der Funddichte wird in Korbach noch mit einer erheblichen Anzahl weiterer Funde gerechnet. Die Fossilien aus dem Korbacher Steinbruch sind etwa viermal so alt wie die Funde in Messel bei Darmstadt. Nur in Südafrika und in Sambia wurden bislang gleichfalls Teile des „säugetierähnlichen Reptils“ Procynosuchus sp. gefunden. Entdeckt hatte die Korbacher Spalte der Diplomgeologe Jens Kulick vom Hessischen Landesamt für Bodenforschung. Das war im Jahre 1964. Doch den umgehend eingeschalteten Paläontologen Sues und Boy von der Mainzer Universität fehlte es seinerzeit noch an geeigneten Methoden, das brüchige Gestein mit den Fossilien dauerhaft zu konservieren. Der inzwischen am National Museum of Natural History in Washington tätige Hans-Dieter Sues hat jetzt seine Bereitschaft signalisiert, zusammen mit Munk und dem Hessischen Landesamt für Bodenforschung in Korbach eine sogenannte Pilotgrabung durchzuführen, nachdem Mitarbeiter der Landesanstalt Ende April den Hundezähneechsenknochen („eine Sensation“, Munk) entdeckt hatten. Noch ist offen, ob die Funde — wie vom Hessischen Landesamt für Denkmalpflege in Korbach angeregt — als Naturdenkmal an Ort und Stelle verbleiben oder ob die Knöchelchen in die Museen des Landes „wandern“. Grabungen, so Thomas Keller vom Landesamt, seien „kontrollierte Zerstörungen“. Der Diplomgeologe ist allerdings überzeugt davon, daß zwischen den Denkmalschützern und den Wissenschaftlern ein „tragfähiger Kompromiß“ erarbeitet werden könne — nach der „Pilotgrabung“.

Von Landrat Böckmeier bekam der hessische Umweltminister Joschka Fischer auf der Pressekonferenz noch einen scharfen Verweis. Weil Fischer — „ohne Absprache“ — in der vergangegen Woche per Presseerklärung seines Hauses den sensationellen Fund von Korbach vermeldet hatte, mußte der Steinbruch „in aller Eile gegen Raubgräber gesichert“ werden. Bürgermeister und Landrat setzen jetzt darauf, daß das Land Hessen sein Scherflein dazu beiträgt, daß die Fundstätte für zukünftige Generationen „mit vielleicht neuen Fragestellungen“ erhalten werden kann — und in Nordhessen der Prähistorientourismus zu blühen beginnt. Klaus-Peter Klingelschmitt