Wegweisend für die Zukunft Europas

■ Helmut Kohl und Jan Bielecki unterzeichnen in Bonn den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag/ Viele Worte über die gemeinsame Zukunft — keines über die ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter?

Bonn/Warschau (taz/dpa) — Mit einem feierlichen Akt haben Bundeskanzler Helmut Kohl und der polnische Ministerpräsident Jan Bielecki gestern in Bonn den deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Beide Politiker würdigten den „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ als historisch und wegweisend für die Zukunft Europas. Als besonders wichtig bewerteten sie das Kernstück des Vertrages: Regelungen für die deutsche Minderheit in Polen. Sie erhält im Vertrag erstmals förmliche Anerkennung und die Zusicherung umfangreicher Rechte.

In dem Vertragswerk, das auch noch einmal die Unantastbarkeit der Grenzen bekräftigt, wird eine breite Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern vereinbart. Mindestens einmal im Jahr soll es Konsultationen auf der Ebene der Regierungschefs geben. Die Bundesrepublik verpflichtet sich, „im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Kräften“ die Heranführung Polens an die Europäische Gemeinschaft zu fördern. Bei der Lösung des polnischen Schuldenproblems wollen beide Seiten weiter zusammenarbeiten. Der Reise- und Fremdenverkehr soll erleichtert, die Zoll- und Grenzabfertigung verbessert werden.

Der Unterzeichnung vorausgegangen war ein monatelanges Störfeuer der Vertriebenenverbände, der CSU und des rechten CDU-Flügels während der deutsch-polnischen Verhandlungen über diesen Vertrag. Sie verlangten, der deutschen Minderheit in dem Vertrag noch wesentlich mehr zuzugestehen. Ihre andauernde Kritik und die mangelnde Standfestigkeit der Bundesregierung haben verhindert, daß der Vertrag, wie ursprünglich geplant, schon vor Wochen unterzeichnet wurde. Dementsprechend ratifiziert ihn der Bundestag vor seiner Sommerpause auch nicht mehr. Zu stören versuchten Vertriebene auch den deutsch-polnischen Nachmittag gestern in Bonn. Während Kohl und Bielecki den Vertrag unterzeichneten, kreisten über dem Regierungsviertel zwei Sportflugzeuge mit Spruchbändern: „Verzicht ist Verrat. Schlesien bleibt unser.“

Unklar blieb, ob Kohl und Bielecki über ein Problem gesprochen haben, das für Polen sehr bedeutsam ist: die Entschädigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter. „Möglich“, antwortete Regierungssprecher Vogel lediglich auf die Frage, ob Kohl und Bielecki überhaupt darüber gesprochen hätten. Nicht äußern konnte sich Vogel auch dazu, ob die Bundesregierung — wie seit etlichen Monaten fest zugesagt — bis zum Beginn der Sommerpause einen Bericht vorlegt, in dem sie zur Frage der möglichen Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter Stellung nimmt. „Es ist ja noch viel Zeit“, beschied er lediglich — die Sommerpause beginnt in knapp zwei Wochen. Ferdos Forudastan