Votivschiffe und Industriekultur

■ Kommt Frischwind ins altgediente Haus? Jörn Christiansen, neuer Chef des Focke-Museums, über seine umstürzlerischen Pläne

Wenn es nach seinem neuen Leiter geht, verwandelt sich unser gutes altes Focke-Museum, vormals höhere Verwahranstalt für Kunsthandwerk und Schiffsmodelle, in ein springlebendiges Haus. Die taz sprach mit Dr. Jörn Christiansen über die tausend Ideen, die ein Museum womöglich erstaunlich machen.

taz: Als Sie zum ersten Mal ins Focke-Museum traten, haben Sie da geschluckt?

Jörn Christiansen: Es fehlt schon an wichtigen Dingen. Da treten Sie beispielsweise an eine Vitrine heran und sehen, in Form eines Spargelbündels, eine Spargeldose aus dem 18. Jahrhundert, und auf dem Schildchen steht: „Dose in Form eines Spargelbündels“. So eine verdoppelnde Pseudo-Erklärung ist natürlich zu wenig. Da müßte ich was erfahren über Festkultur des Spätbarock, über die Herstellung von Fayencen, über die Differenz zu anderen Kulturen. Das erfordert den Einsatz verschiedener Medien, ordentliche Beschriftung, Dioramen, Videos, Dias. Der sinnliche Zugang fehlt hier.

Das Museum soll jetzt ausgebaut werden. Gibt das eine neue Raumordnung?

Ja, eine völlig neue. Die beiden Architekten Schnorrenberger und Schürmann haben den Auftrag, die Werkstätten zu verlegen und zu vergrößern. Und wir brauchen erheblich mehr Ausstellungsfläche, auch für neue Themen, Stichwort: Industrie- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Und wir wollen natürlich auch die bisherige Schausammlung komplett umarbeiten und mit neuen Exponaten anreichern. Und diese Exponate stellt man ja heute nicht mehr einfach isoliert an die Wand, sondern fügt sie in Inszenierungen ein, wo sie sich gegenseitig erklären. Und dann stelle ich mir vor, daß man die Sammlung, anders als bislang, ganz klar chronologisch strukturiert. Und daneben Themenräume für wichtige Ereignisse. Dort kann man gut auch mit ästhetischer Attitüde arbeiten, man kann ein bißchen weg von den Originalen oder kann auch mal Studienkabinette einrichten.

Was ist im Lager eventuell noch eingekellert an mißachteten Dingen?

Zum Beispiel Bildmaterial, Stadtansichten, Grafiken. Überhaupt stelle ich mir vor, große Teile des Sammlungsbestandes nach oben zu bringen in Form eines Studienmagazins. Das würde, für Interessierte, unsere exemplarischen Stücke ergänzen.

Und Wechselausstellungen?

Ohne geht es gar nicht mehr. Bisher gab es dafür, glaub ich, 140 Quadratmeter. 800 halte ich für das Minimum. Da wären dann auch, ich sag mal: populäre Ausstellungen möglich, die uns neue Leute ins Haus bringen.

Jetzt müssen Sie sagen, was Sie für populär halten.

Sie wissen, daß zum Beispiel Ausstellungen über Alltagskultur immer großen Zulauf haben. Auch die hiesige, wie hieß sie, „Zuckersack und Heißgetränk“ — in der bisherigen Museumsgeschichte eher ein Ausreißer — hat 30.000 Leute angezogen. Wenn Sie ein Museum aktualisieren, erreichen Sie ein ganz neues Publikum.

Museum und dennoch aktuell?

Wie das?

Wir haben einen Landesarchäologen, der gräbt in der Stadt, und was er ausgräbt, soll er uns hier zeigen. Das geht schnell, billig und zeigt einfach, was hier geschieht. Oder, aktueller Fall, Industriedenkmalpflege.

Wie hätten Sie auf das Thema Hag-Fabrik und Abriß reagiert?

Schnell. Zum Beispiel mit einer Darstellung des Problems.

Sie planen ja überhaupt einen Schwerpunkt Industriegeschichte und haben noch fast gar nichts in der Hand. Wo fangen Sie an?

Wir brauchen Zeitzeugen, auch Leute aus dem Produktionsprozeß, ich nenne sie: Arbeitsexperten. Wir wollen mit der Uni zusammenarbeiten, wir wollen neue Themen aufgreifen, zum Beispiel Industriedesign. Da gibt es jetzt die Wagenfeld-Sammlung, damit muß man irgendwie umgehen. Wir werden sicher nicht, wie wir das im Rheinischen Industriemuseum getan haben, ganze Fabriken und komplette Arbeitsplätze zeigen können. Aber darin steckt ohnehin die Gefahr, daß man nur naturalistisch fürs Gefühl inszeniert, anstatt zu erklären.

Auch wenn Sie hier keine Fabriken sammeln können, bleibt noch viel. Wo würden sie anfangen?

Zum Beispiel bei Verpackungen. Ein Leitmotiv von Industriekultur. Und eins unsrer großen Probleme. Gestern noch hab ich, wegen Aktualität, nach einer Kaffee- Hag-Dose gesucht. Und habe keine gefunden, auch sonst nichts. Dabei ist das eine so wichtige Firma gewesen.

Eine alltagskulturell epochale!

Ja, bloß „Alltag“ ist ein heikler Begriff. Und was da noch zu kriegen ist, reicht nicht weit in die Vergangenheit zurück. Für frühere Zeiten gilt: wir müssen die Exponate, die wir haben, quellenkritisch behandeln. In Dortmund sind wir zum Beispiel mit dem Ratssilber so verfahren, was bis dahin bloß als Kunstgewerbe behandelt worden ist. Das ist ein Silberschatz, gefertigt 1899 für den Kaiser zur Einweihung des Emskanals. Wir sind in die Archive gestiegen und haben Dokumente und Fotos gefunden, die den historischen Kontext zeigen: da ist das Volk, welches Spalier stehen mußte, die polizeilichen Verordnungen, die Sozialdemokraten, die man, als „Schutzhaft“ gegen Unruhestiftung, ein paar Tage eingebuchtet hat. Auf solche Weise haben wir den Gegenstand Silber neu interpretiert.

Wird jetzt das Focke-Museum von seiner Schwachhausener Insel aus mit anderen Museen zu tun bekommen?

Gern. Es gibt hier vieles doppelt. Das sollte sich eine Stadt nicht leisten, daß man Themen streut. Ich würde mir wünschen, daß man zumindest öfters Exponate hin und her bewegt.

Schieben Sie dann die Schiffsmodelle nach Bremerhaven ab?

Warum, die gehören ja zu unserem Profil. Ich denke, wir könnten da mal das Modell selber zum Thema machen, speziell etwa die Votivschiffe. Tolle Geschichte.

Votivschiffe???

Ja. Modellschiffe, von Seeleuten zum Dank für wundersame Errettung gespendet. Aber auch sonst könnte man viel zusammen machen, auch Ausstellungen. Und Erfahrungsaustausch. Gerade im Bereich der Vermittlung können wir Museumsleute viel lernen. Nicht umsonst sehen Ausstellungen oft so aus, als seien sie selbst dem normalen Schaufensterdesign noch zwanzig Jahre hinterher. Interview: Manfred Dworschak