Die Duncker munter rauf und runter

■ Die Dunckerstraße im Prenzlauer Berg/ Das LSD-Viertel der Vorwendezeit: Neben Szeneschuppen die StiNo-Kneipen

Hätte Alfred Döblin sein Berlin- Epos erst 1982 statt 1928 geschrieben, hätte er es sicher nicht in der Gegend um den Alexanderplatz angesiedelt, sondern eher in den Dunstkreis der Dunckerstraße im Prenzlauer Berg. Daß er dafür die Hermann-Duncker-Medaille des FDGB erhalten hätte, bleibt ernsthaft zu bezweifeln. Wer dagegen heute dort wohnt, wird kaum begreifen können, daß diese Straße überhaupt noch in dieser Serie Erwähnung findet. Rein gar nichts Besonderes ist erst mal in diesem Gründerzeitwrack zu entdecken. Nur von den Dingen, die einem das Stadtleben vermiesen können, also Hundekot und Autos, gibt's auch hier genug. Zu holprig sind die klotzigen Pflastersteine, als daß man mit dem Fahrrad gesund über die ganze Straßenlänge kommt, zu trostlos auch die vernachlässigten Fassaden, hinter denen kaum Leben zu vermuten ist. Und doch hat sie vielleicht ihren Reiz, weil sie so typisch für die ganze Gegend ist.

Für die Leute im Kiez ist sie Teil des LSD-Viertels (Lychener/ Schliemann-/ Dunckerstraße) mit dem Helmholtzplatz als Zentrum. Die Abkürzung wurde durch die Kriminalitätsrate inspiriert, von der man in Vorwendezeiten nur gerüchteweise ahnen konnte, daß sie höher lag als in der übrigen Stadt. Heute steht sie jedenfalls offiziell nach Auskunft des Polizei-Abschnittsleiters im Prenzlauer Berg über sonstigem Gesamtberliner Niveau. Wobei auffällig ist, daß nicht mehr so konsequent nach Qualitätsmaßstäben geklaut wird wie früher, sondern auch jedes minderwertige Autoradio gefährdet ist. Schon in den Fünfzigern wollte der gute Hermann Duncker — seines Zeichens kommunistischer Gewerkschaftler — solch bedenklichen Tendenzen entgegenwirken, als er seinen wissenschaftlichen Kommunismus propagierte. Aber an dieser Geschichte ist ja überhaupt einiges schiefgelaufen. — Ich selbst war bisher nur durch einen Fall von Erpressung betroffen, als sich mir am Helmholtzplatz ein Gör von vielleicht sieben Jahren auf den Schoß gesetzt und erklärt hat: »Wenn du mir keen Eis koofst, schrei ick laut um Hilfe.« Sie hat ihr Eis bekommen.

Ansonsten kann man auf dem Helmi wunderbar von der guten alten Zeit träumen, von den heimlichen Ausstellungen und Lesungen in den Wohnungen und besonders von den Sommernächten, als noch alle, die sich zur Szene rechnen wollten, die Abende im »Wiener Café« an der Schönhauser oder im »Mosaik« an der Prenzlauer Allee abgesessen haben. Wenn es am Tag so heiß war, daß man kaum leben konnte, traf man sich dann nachts genau zwischen den beiden Lokalen, eben auf dem Helmi, um da »so frei zu sein im sinne/nicht in ärgere unfreiheiten reinzureiten« (wie der Milieu-Verdichter Papenfuß-Gorek befand). Da gab's immer noch etliche Schlucke Wein aus der Flasche und das beliebte Ratespiel, wer denn von der Stasi sei. Manchmal wurde sogar getanzt oder Dietrich Petzold hat den Sonnenaufgang mit der Geige begrüßt. Es konnte hin und wieder auch passieren, daß jemand am Morgen im Gebüsch wachgeworden ist.

Aber die Helmi-Feten konnten wohl doch nicht die große weite Welt ersetzen, und so sind in den folgenden Jahren fast alle in den Westen ausgereist. Jetzt sitzen sie wieder (natürlich weitaus kultivierter) gleich um die Ecke im »Café Kiryl« am Ende der Lychener Straße und erklären den Jüngeren, wie toll es hier früher war. Das Kiryl gehört zum Druckhaus Galrev, in dem sich die ehemals im Selbstverlag unter »wildernden umstaenden« (nochmal P.-G.) produzierenden Dichter und Herausgeber zusammengeschlossen haben. Die anfangs eingerichtete Buchhandlung ist nicht mehr rentabel, aber zur Not kann man die hauseigenen Ausgaben auch im Galrev- Büro erwerben. Bisher sind hauptsächlich ältere Produkte von Leuten wie Anderson, Döring, Koziol und Schedlinski erschienen, die vorher kaum so leicht zugänglich waren. Aktuelleres bleibt zu erwarten. Unklar ist dabei allerdings, ob überhaupt noch jemand Gedichte schreibt, seit der gesamte Ex-Underground hinterm Tresen steht oder hilft, das Café restlos zu überfüllen.

Wem es da zu elitär oder zu teuer ist, kann sich, nur hundert Meter entfernt, in der Schliemannstraße unter echtes Prenzelberger Schmuddelvolk mischen. Selbst wenn das hinter dem vergammelten »Seifen und Kosmetik«-Schild gelegene Etablissement mal geschlossen ist, gibt es neuerdings gleich nebenan noch das Musik-Café »Couch« zum gemütlichen Zeitvertreib. Auch das einstige Lieblingskind der Stasi, die Berliner Umweltbibliothek, ist jetzt in der Schliemannstraße 22 zu finden, natürlich mit eigenem Café. Und daneben, in der 23, sitzt der BasisDruck-Verlag, bei dem beispielsweise 'die andere‘ und die alternative Frauenzeitschrift 'Y‘ erscheinen, natürlich mit eigener Buchhandlung. Unter der gleichen Hausnummer sieht's im Hinterhof ganz oben zwar noch sehr ramponiert aus, aber da befindet sich immerhin das Ostbüro von Radio 100 im Exil. Das hätte man alles nicht vermutet, beim ersten Blick in diese Straßen. Wenn man einfach durchfährt, präsentieren nur StiNo-Kneipen ihr langweiliges Outfit. Aber auch sonst ist die Gegend etwas verödet, seit sich das kulturelle Sommer-Zentrum in der Region auf den Kollwitzplatz verlagert hat. Dort mußte Fredi im Vorjahr schon seine Idee, im Zelt zu wohnen, aufgeben, nachdem ihm die Zahl der Besucher zu toll über den Kopf gewachsen war. Neue Trends der Freiflächenbesiedlung für den Sommer 91 deuten sich momentan noch nicht an. Aber die taz berichtet weiter. Fritz Viereck