Starke Zunahme von Brandanschlägen

■ Im letzten halben Jahr ist die Anzahl der Brandanschläge und Bombendrohungen in Berlin stark angestiegen/ Zentrales Thema in den Bekennerschreiben ist die Hauptstadtfrage

Berlin. Die politisch motivierten Anschläge haben in Berlin im letzten halben Jahr im Vergleich zum Vorjahr drastisch zugenommen. Nach Angaben des stellvertretenden Leiters des Berliner Staatsschutzes, Werner Perschke, wurden in der Zeit zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 30. Mai dieses Jahres 58 Brandanschläge mit politischem Hintergrund verübt. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es sechs. Die Zahl der Bombendrohungen hat sich von 132 ( 1989/90) im letzten halben Jahr auf 440 gesteigert. Eine Vergleichszahl von 1988/89 war gestern nicht zu erhalten. Perschke erinnerte sich jedoch dunkel daran, daß die Zahl der Anschläge 1989/90 im Vergleich zum Zeitraum davor »relativ gering war«. Der stellvertretende Leiter des Staatsschutzes legte Wert auf die Feststellung, daß es sich dabei um keine repräsentative Statistik handele, weil der erfaßte Zeitraum dafür zu kurz sei.

Die 58 Brandanschläge im letzten halben Jahr standen Perschke zufolge in der Mehrzahl im Zusammenhang mit der »leidvollen Hauptstadtfrage im weitesten Sinne«. In der Mehrzahl der Bekennerschreiben sei ein »Unbehagen« gegen »die Banken und das Kapital« zum Ausdruck gebracht worden, die »für alles Elend dieser Welt« verantwortlich gemacht würden. Nach Perschkes Angaben gibt es keine gesicherten Erkenntnisse über die Täterkreise, weil die Ermittlungen »kaum Erfolg« gehabt hätten. Die letzten Festnahmen von drei mutmaßlichen Täterinnen seien nach einem Buttersäure-Anschlag auf Beate Uhses Sexshop vor rund eineinhalb Jahren erfolgt. Wiederkehrende Namen in den Bekennerschreiben seien Autonome oder Revolutionäre Zellen oder Gruppen wie »Thomas Münzers Wilder Haufen«, sagte Perschke. Letzere haben sich wie berichtet im April zum Brandanschlag auf die Treuhandstelle in der Schneeglöckchenstraße bekannt.

Nicht ausschließen wollte der stellvertretende Staatsschutzleiter, daß auch DDR-Bürger hinter dem einen oder anderen Brandanschlag stecken. Einen Beleg dafür habe man aber nicht, außer daß in manchen Bekennerschreiben typische DDR-Begriffe wie »Real Existierender Sozialismus« oder »BRD« verwendet worden seien. Ob es sich um neue Täter aus Ost-Berlin oder um die bekannten »radikalen Kreise« aus dem Westteil der Stadt handele, sei aber auch deshalb schwer zu sagen, weil Teile der »gewaltbereiten Szene« ihren Schwerpunkt schon länger nach Ost- Berlin verlagert hätten. Die Tatorte geben laut Perschke keinen Aufschluß über die Urheber des Anschlags. Wer seine Unzufriedenheit mit einem Anschlag zum Ausdruck bringen wolle, der tue dies dort, wo die interessantesten Objekte seien. Banken etwa gebe es mehr in West- als in Ost-Berlin.

Der stellvertretende Staatsschutzleiter gab zu, daß ihm die zunehmenden Anschläge »schon Kopfschmerzen« bereiten. Die drastische Zunahme der Anschläge könne jedoch nicht losgelöst davon gesehen werden, daß Gewaltbereitschaft im menschlichen Zusammenleben insgesamt sehr stark angewachsen sei. Plu