Ei sieh, ein Politiker bei uns!

■ Wenn Weltpolitik mit der Lupe gesucht wird — ein Ereignisbericht aus dem KSZE-Küchenzelt vor dem Reichstag

Tiergarten. Gemein! Gestern noch nicht einmal ein Stau um das »Zeltmodul« am Reichstag. Nun sitzen in ebendemselben — auch »Pressedorf« mitsamt »Küchenzelt« geheißenen — mobilen Medienheim 1.500 Journalisten und lauern auf irgendein Ereignis. Und weil weder Weltpolitik noch wenigstens ein kleines urbanes Verkehrschaos in Sicht waren und sich die Edel-Bleche der Delegationen friedlich Seit' an Seit' an den Normal-Blechen durchs Städtle schoben, lenkte sich der gestrige Blick vor allem aufs Beschauliche. Waidmännisch grünuniformierte Polizeibeamte »mit und ohne Hundebegleitung« wandelten als Foto- und Filmmotive durch den Tiergarten. Kein hoppelndes Häslein, das nicht der Beobachtung würdig gewesen wäre; keine Blume, die nicht der Staatsräson hätte ihren Dienst erweisen können: Gärtner legten letzte Hand an die neugepflanzten Blumenrabatten — aber ach! — statt der von Rita Süssmuth gewünschten hoffärtigen Rosen gab es nur bescheidene Geranien »in den rot-weißen Landesfarben«. Und heute werden die Minister unter dem Schutz von 3.000 fürsorglichen und unterbezahlten Beamten im verstacheldrahteten Tiergarten »ungestört Gelegenheit zu Wald- und Parkspaziergängen und vertiefenden Gesprächen haben«.

Soviel kontemplative Stimmung trieb auch den Sprecher des Vorbereitungsstabes Hans-Martin Erdmann zu einem Stück rätselhafter Bekenntnispoesie: »Die letzte heiße Phase der Vorbereitungen ist beendet. Wir sind operativ.« Und fortan schwieg die Pressestelle. Doch in der Not trat Intercontis Tini Gräfin Rothkirch auf den Plan. Aus der Serie »Menschen im Hotel«, Folge: »Ei sieh, ein Politiker«, erklärte sie, US- Außenminister James Baker verspeise sein Standard-Frühstücksei nebst intercontinentaler Schrippe »wie ein ganz normaler Gast« in seinen vier Zimmern. Einige Fragen blieben indessen offen. Z.B.: Wurde das Ei geröntgt? Warum teilte sich der Amerikaner gerade mit seinem luxemburgischen Kollegen einen eigenen Koch, zumal er ihn dann doch nicht benutzt, weil er ja gar keine Zeit für Bankette hätte?

Und doch wohl auch nicht für die Sauna: Gestern keine neue Folge der Serie »Politiker ganz nackt«. So hatte man im Interconti kein Verständnis für einen Mann, der es im Gegensatz zu allen Journalisten beinahe geschafft hätte, sämtliche Sperren zu überwinden. Der ortskundige Hotel- Lieferant wollte nicht auf seinen gewohnten Gratis-Saunabesuch verzichten und wurde nicht nur vorübergehend festgenommen, sondern natürlich auch für »geistig verwirrt« erklärt. Dabei fiel nicht nur ein detaillierter Krisenbericht ab, sondern endlich auch eine ordentliche Schlagzeile für die Nachrichtenagenturen: »Zwischenfall vor KSZE-Hotel in Berlin«.

Und weil auch diese akute Sicherheitsgefährdung virtuos und geradezu »operativ« vor den Augen der Welt und allen, allen Bonnern von der Berliner Polizei bewältigt werden konnte, zeigte sich auch gestern einmal mehr, daß die Stadt auf ihre Aufgaben eines künftigen Regierungssitzes »gut« vorbereitet ist. grr/nana/dpa/adn/ap/upi/

reuters/afp/tass/irna/cia