INTERVIEW
: „Die Alpen drücken auf die Oberpfalz“

■ Im oberpfälzischen Windischeschenbach wird seit September 1987 mit großem technischen und finanziellen Aufwand ins Erdinnere vorgedrungen Professor Rolf Emmermann, Chefkoordinator der kontinentalen Tiefbohrung, verspricht sich auch neue Erkenntnisse über Vulkanausbrüche

taz: Worin liegt der Sinn der kontinentalen Tiefbohrung?

Rolf Emmermann: Es fragt eigentlich nie jemand danach, worin der Sinn der Weltraumforschung besteht. Als Menschen leben wir auf der Erde und von der Erde. Wir nutzen sie, aber wir sind auch durch sie gefährdet, etwa durch Erdbeben und Vulkanausbrüche. Das sind Prozesse, die im Inneren der Erde ablaufen und dort ihre Ursachen haben. Wenn man also verstehen will, warum es Vulkanismus und Erdbeben gibt oder warum es an manchen Stellen des Untergrunds warm, an anderen dagegen kühl ist, muß man Grundlagenforschung über die Zustände und Veränderungen im Innern der Erde betreiben. Genau das wollen wir mit der kontinentalen Tiefbohrung tun.

Was heißt das praktisch?

Generell soll man bei der Grundlagenforschung nie danach fragen, wie kann man das unmittelbar anwenden. Die Grundlagenforschung muß frei sein vom Zwang, die Ergebnisse irgendwann einmal praktisch nutzen zu können. So haben Physiker, Chemiker, Biologen und andere ihre Entdeckungen gemacht. Bei den Geowissenschaften ist jedoch der Schritt von der Grundlagenforschung zur Anwendung vergleichsweise kurz. Wenn ich daran denke, welche Erkenntnisse wir 1973 gewonnen haben und wie dann zehn Jahre später die Konzepte zur Rohstoffsuche entwickelt wurden: Das war ein unmittelbares Ergebnis einer Grundlagenforschung, die das gar nicht zu hoffen gewagt hatte.

Nennen Sie doch mal ein paar Anwendungsmöglichkeiten, die aus der kontinentalen Tiefbohrung schon erwachsen sind oder erwachsen könnten.

Es geht zum einen um die Rohstoffprospektion, also den Nachweis und die Auffindung von Rohstoffen. Wir werden nach wie vor den großen Teil unserer Rohstoffe aus den Kontinenten beziehen. Der Tiefsee-Bergbau ist mit erheblichen Umweltproblemen behaftet, denn wenn das Wasser kontaminiert wird, ist gleich ein ganzer Ozean verseucht. Bisher wurden Mineral- und Erzlagerstätten nur an der Erdoberfläche abgebaut, und wir kennen sie auch nur dort. In Zukunft wird man immer tiefer gehen müssen, wenn man Rohstoffe haben will. Von daher ist es wichtig zu wissen, ob es in größerer Tiefe überhaupt Rohstoffe gibt und in welcher Menge man sie nutzen kann. Ein zweites Beispiel ist die geothermische Energie: Unsere Erde ist heiß, und sie wird es die nächsten Milliarden Jahre auch bleiben. Die Frage ist, wie man das nutzen kann, wie kriegt man die Wärme hoch. Drittens geht es um die Erdbebenforschung. Die Erde steht unter mechanischen Spannungen, die sich solange akkumulieren bis das Gestein bricht. Wir entwickeln neue Methoden, um diese Spannungen zu messen und Erdbeben vorhersagen zu können.

Das oberpfälzische Windischeschenbach ist dafür ein geeigneter Standort?

Wir haben überall auf der Welt Mikro-Erdbeben. In der Umgebung von Windischeschenbach, aber vor allem im Vogtland, sind in den letzten 20 Jahren kleine Erdbebenschwärme gemessen worden. Von daher ist es ein idealer Beobachtungsort — er ist nicht gefährlich und man bekommt doch viele Informationen.

Beim kontinentalen Tiefbohren geht es auch ums nationale Prestige. Andere Länder haben die Meere und den Weltraum erobert, da bleibt für die Deutschen nur noch die Reise ins Erdinnere. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, das Motiv für die Tiefbohrung sei nicht in erster Linie wissenschaftliches Interesse als vielmehr das Streben nach internationaler Größe und Ruhm?

Das Projekt ist nicht von Politikern eingerichtet worden, sondern von Geologen mit ausschließlich wissenschaftlichen Fragestellungen. Es war sogar sehr mühsam, Politiker von der Finanzierung zu überzeugen. Wenn dabei Prestigesucht aufkam, dann erst viel später. Ursächlich spielte sie keine Rolle. Die Ursachen für all das, was wir auf der Erdoberfläche sehen, liegen im Erdinneren. Selbst unsere Atmosphäre stammt letztlich aus dem Erdinneren, denn sie ist eine ständige Entgasung unserer Erde. Mit der Pilotbohrung haben wir — was vorher keiner glauben wollte — solche Gase in 4.000 Meter Tiefe gefunden. Vor vier Jahren war das noch Phantasie, heute wissen wir, sie sind tatsächlich vorhanden.

Sie haben davon gesprochen, die KTB führe zur zweiten Revolution in den Geowissenschaften. Welche Umwälzung im Verständnis von der Erde hat es bislang erbracht?

Die erste Revolution bestand in der Entdeckung, daß wir auf einem Planeten sind, der im Inneren nicht tot ist, sondern lebt und wo ständig Gesteine umgewälzt werden. Durch Satellitenaufnahmen wissen wir, daß sich nicht nur die Erdoberfläche im Jahr ein paar Zentimeter bewegt, sondern daß auch die äußeren vier- bis fünfhundert Kilometer des Erdkörpers wie große Walzen in ständiger Bewegung sind. Dies bedeutet: Unsere Erde recycelt die Ozeane, sie werden gebildet und verschwinden nach einer gewissen Zeit wieder. Das war eine Überraschung, weil jeder glaubte, die Ozeane wären uralt und im Lauf der Zeit hätten sich dann die Kontinente gebildet. Aber es ist genau umgekehrt! Die Kontinente sind uralt und die Ozeane kommen und gehen. Diese Entdeckung Ende der siebziger Jahre brachte neue Herangehensweisen: Wenn man studieren will, was auf der Erde passiert, kann man das eigentlich nur in den Kontinenten. Unsere Pilotbohrung hat bei vier Kilometern Tiefe eine völlig andere Geologie erbracht als wir annahmen. Unsere Kenntnisse über die Struktur der Erde sind immer noch so minimal, daß wir ohne die Tiefbohrung nicht vorankommen. Wenn wir sie gemacht haben, werden wir einen großen Schritt weiter sein im Verständnis der Architektur von Kontinenten, der Produktion und des Transports von Wärme, in der Frage der Spannungen und so weiter. Das sind alles Grundsatzfragen. Deshalb ist es berechtigt, von einer zweiten Revolution zu sprechen.

Die Pilotbohrung hat das Bild von der Erde auch schon ein Stückchen revolutioniert?

Ja, zumindest ansatzweise. Wir haben zum Beispiel ein Modell der geologischen Struktur machen können. Wir haben herausgefunden, daß wir quasi in eine Ziehharmonika bohren, wobei die Gesteine nicht horizontal, sondern vertikal gefaltet sind. Daß die Verformungsprozesse solche Strukturen produzieren können, wäre uns nicht im Traum eingefallen. Wir haben gelernt: Aus großen Tiefen kommt ein Wärmefluß und die Temperaturverteilung wird von alten geologischen Prozessen beeinflußt. Es ist nicht nur die Wärmeproduktion der Elemente, die dort lagern, sondern auch die Geschichte des jeweiligen Gebiets spielt eine Rolle. Das ist ebenfalls neu. Zum ersten Mal haben wir überhaupt Spannungen in dieser Tiefe messen und feststellen können und wie sich die Spannungen mit der Tiefe ändern. Dadurch haben wir herausgefunden, daß die Alpen einen Druck auf die Oberpfalz ausüben. Das ist absolut neu! Und wir haben in 4.000 Meter Tiefe die sogenannten Fluide gefunden, stark salzhaltige Lösungen in den Gesteinen. Bisher hatten wir nur postuliert, es müsse sie geben. Wir konstruierten kleine Probenehmer, um eventuell ein paar hundert Milliliter herausholen zu können. Aber sie waren in einer solchen Menge da, daß wir 70.000 Liter abpumpen konnten.

Diese Fluide sind Restbestände von ehemaligen Meeren?

Das kann sehr wohl sein, obwohl es ganz außergewöhnlich wäre. Bei Gesteinstemperaturen über 700 Grad Celsius müßten sie eigentlich verdampfen. Aber da sie vorhanden sind, muß es unten noch eine Quelle geben, von der das Wasser herkommt. Wir haben auch Gase entdeckt, etwa Helium, von denen sicher ein Teil aus dem Erdmantel stammt. Ich glaube, wir werden nachweisen, daß vom Erdinneren ständig ein Gasstrom ausgeht. Bisher war es bloß eine Modellvorstellung, eine Spekulation, daß wir heute immer noch einen Gasstrom haben. Interview: Joachim Thommes