Von den Opfern ist selten die Rede

■ Ehemalige Stasi-Mitarbeiter drücken sich um die Aufarbeitung ihrer früheren Tätigkeit/ Aus Verfolgern werden Verfolgte/ Die Unterdrückung der Opposition wird ausgeblendet

Berlin (taz) — Wenn die früheren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Staatssicherheitsdienstes über ihre Vergangenheit reden, ist von den Opfern nur selten die Rede. 18 Monate nach der Auflösung des Repressionsapparates melden sich die GenossInnen des früheren Ministeriums zu Wort — und da Parteimitglieder, beinahe ausschließlich in den Parteiorganisationen der PDS. Die Diskussion unter den Ehemaligen kreist um die eigene Befindlichkeit. Der Blick weist zurück in eine DDR, in der doch alles nicht so schlecht war. Von gesellschaftlicher Isolation, von Arbeitslosigkeit und gekürzten Renten geschlagen, halten sich Ex-MitarbeiterInnen an den vermeintlichen früheren Erfolgen ihres Ministeriums fest, und die dürften jetzt, trotz Niedergang der DDR und „Zwangsanschluß“, nicht demontiert werden.

Die Einsicht, in das Schicksal von Abertausenden von DDR-BürgerInnen eingegriffen, ihre Karrieren und privaten Beziehungen zerstört zu haben, ist der Ausnahmefall. Typischer ist schon das Verhalten des PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow. Er beklagte beispielsweise am Montag abend bei einer Parteiveranstaltung im Berliner Abgeordnetenhaus: „Heute erleben wir, daß Schuld zu sehr mit Sühne und nicht mit Vergebung verbunden wird.“ Modrows Plädoyer, Geschichte und Schuld im MfS differenziert zu betrachten und aufzuarbeiten, führt wie die Ausführungen der meisten Genossen zum Ergebnis, am Ende konkret niemanden benennen zu können, der tatsächlich für Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.

Modrows Beitrag war angekündigt als Rechenschaftsbericht über die eigene Rolle und Stasi-Verstrickung in seiner Funktion als ehemaliger erster Sekretär der Dresdener Bezirkseinsatzleitung. Er erwies sich als langatmiger Bericht über Strukturen von Partei und Stasi, als heruntergerasseltes Referat mit dem Bekenntnis „Schuld mitgetragen zu haben“, um im gleichen Moment die historischen Wurzeln und den Glauben an die DDR in den Vordergrund zu rücken. Symptomatisch war sein Verweis auf den Kalten Krieg und die zunehmende Konfrontation der Systeme. So sei die Gründung der Bezirkseinsatzleitungen nur in der Folge der Nato-Doktrin „flexibel response“ zu verstehen. Im „Spannungsfall“ sollte so der militärische Widerstand umgehend und umfassend organisiert werden. Symptomatisch waren die Ausführungen, weil Modrow dabei unterschlug, daß in den Bezirksverwaltungen und Einsatzleitungen für eben diesen „Spannungsfall“ noch Mitte der 80er Jahre detaillierte Pläne für die Internierung Oppositioneller und Anderdenkender geschmiedet wurden.

Wo einerseits der repressive Charakter des Ministeriums verdrängt wird, rücken andererseits die Rechtfertigungen in den Vordergrund: Der Partei habe die Stasi immer ungeschönte Berichte über den Zustand der Wirtschaft, die Stimmung in der Bevölkerung und über notwendige Reformen geliefert, ja, sogar Kriegsverbrechen der Nazis aufgeklärt.

Die Stasi als Hort der Reformbewegungen in der DDR? Ein führender Mitarbeiter in der Abteilung Sicherheit beim früheren Zentralkomitee der SED bekannte letzten Donnerstag, er habe keinen anderen Weg gesehen als mitzumachen. Die Partei oder die Entwicklung in der DDR habe er nicht in Frage stellen können, „weil ich gefürchtet habe, daß Kräfte an die Macht kommen, die das zunichte machen, was wir aufgebaut haben“. Heute, nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, stellte er fest, „daß sich manches schlimmer zeigt, als ich es für möglich gehalten habe“. Mit Blick auf den in München laufenden Prozeß gegen den früheren Stasi-General Harry Schütt wegen Spionage behauptete er: „Hier werden Tatsachen geschaffen, die das ehrliche Aufarbeiten fast unmöglich machen.“

Die von den früheren Mitarbeitern allerorten geforderte Differenzierung wird von einzelnen geleistet. Im Anschluß einer Lesung aus dem Buch Stasi intim, hielt beipielsweise Achim L., 21 Jahre im MfS und zuletzt Major im Wachregiment Felix Dzierzynski, seinen früheren Kollegen entgegen: „Es zerreißt mir das Herz, wenn ich sehe, was die Alten für eine Idee getan haben und was wir Jungen daraus gemacht haben.“ Auch wenn er sich strafrechtlich nichts vorzuwerfen habe, fühle er sich heute als überzeugter Kommunist „genauso beschissen schuldig wie jeder andere“. Er sei dankbar, „daß die Bürgerbewegung Verhältnisse geschaffen hat“ die ihm ein Umdenken ermöglicht haben.

Beklemmend bleibt auch, wenn bei der gleichen Veranstaltung Mitarbeiter der Stasi einräumen, die falschen Personen „bearbeitet“ zu haben. Ein Leiter der Auswertungs- und Kontrollgruppe der HauptabteilungXX (Verhinderung und Bekämpfung der politischen Untergrundarbeit) räumte ein, nach der Wende erkannt zu haben, daß die Stasi etwa im Fall der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley gegen die Falschen vorgegangen sei. Er habe erkennen müssen, daß Bohley, die „vorher als willfähriges Objekt der Feinde begriffen wurde“, nach der Wende „die DDR retten wollte“. Aber auch für ihn gilt noch: „Teile der Untergrundbewegung waren mit Kräften liiert, die die DDR abschaffen wollten.“

Der Streit um die Aufarbeitung wird in den Reihen der PDS heftig geführt. Uschi Goldenbaum, Erneuerin und Mitglied im Arbeitskreis Staatssicherheit des Berliner Landesverbandes, warf den „Traditionalisten“ und früheren Stasi-Mitarbeitern vor, die ungesetzlichen Aktivitätiven, die Mißhandlungen und die Toten des Staatssicherheitsdienstes konsequent auszublenden. Jetzt wehre man sich auch wieder gegen die früheren Oppositionellen. Die hätten zur „Hetzjagd“ gegen die früheren Mitarbeiter aufgerufen. Deren Verfolgung werde zwar eingeräumt, aber die eigene Verfolgung heute als die schlimmere begriffen. Kommentar eines Ehemaligen: „Aber ja, das ist doch richtig.“ Wolfgang Gast