Modelldorf Lobstädt 1999

Aus dem „Aufschwung Ost“ soll Geld in die vom Tagebau gebeutelte Gemeinde fließen  ■ Von Jutta Schulz

Leipzig. Über sieben Brücken führen Straßen in das Dorf Lobstädt, das nur rund 30 Kilometer südöstlich von Leipzig entfernt liegt. Die am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit dahindämmernde 1.800 Seelen-Gemeinde soll nun gefördert werden: Das „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ kürte Lobstädt zum Modelldorf für förderungswürdige Bausanierung. Im Falle des Überlebens der DDR wäre der Ort wie viele andere Dörfer ebenfalls im Braunkohletagebau buchstäblich begraben worden.

Nachdem Meißen und Görlitz als städtebaulich-architektonische Ensembles von europäischem Rang und die Erzgebirgsgemeinde Kändler als typisches Dorf mit Denkmaswert mit Finanzen aus dem „Gemeinschaftswerk“ vor dem Zusammenbröseln gerettet werden sollen, hat sich der Freistaat Sachsen für die Förderung einer Gemeinde aus einem ökologisch und wirtschaftsstrukturellen Problemgebiet entschieden.

In Ostsachsen trägt Lobstädt Altlasten mit Europarekord: hohe Luftverschmutzung durch Braunkohleabbau und -verarbeitung in Borna, Böhlen, Regis, Großzossen, Deuben sowie durch die Karbochemieindustrie in Espenhain. Die ganze Gegend, ehemals eine reizvolle Auenlandschaft, ist ausgekohlt. Neben ungezählten Halden gibt es hier kaum noch „gewachsenen“ Boden, was künftiges Bauen und Sanieren schwieriger macht.

1904 begann sich Lobstädt, erstmals 1299 urkundlich erwähnt, mit der Kohleförderung zum Industriedorf zu entwickeln. Die Zerstörung der Natur nahm mit der auf Braunkohle einseitig ausgerichteten Energiepolitik in den vergangenen 40 Jahren seinen Lauf. Die Häuser verkamen, Bauernhöfe wurden wegen der Kollektivierung einfach verlassen. In den vergangenen 20 Jahren hat der Ort 750 Einwohner verloren, berichtet Bürgermeister Wolfram Seiffert. Seit 30 Jahren gab es hier keinen sozialen Wohnungsbau mehr.

Trotzdem war die Gemeinde jetzt anderen eine Nasenlänge voraus. Sie hatte sich auf bauliche Ernuerungsmaßnahmen vorbereitet, in diesem Jahr können für die Sanierung 1.250.000 Mark ausgegeben werden, wobei 80 Prozent vom Bund und je zehn Prozent von Land und Gemeinde aufgebracht werden müssen. Das Sanierungskonzept, so der Bürgermeister, sei in der Endphase und soll im Juli in Dresden vorgelegt werden.

Geplant sind neben einer modernen Infrastruktur neue Fassaden und Dächer, der Ausbau des Gemeindezentrums, ein Haus mit Sozialwohnungen. Die dunkle Vergangenheit soll nach den ehrgeizigen Plänen der Dorfbewohner zum 700jährigen Jubiläum 1999 überwunden sein. Auf der Denkmalliste stehen unter anderem die Dorfkirche aus dem 15. Jahrhundert, die der Bürgermeister in den vergangenen acht Jahren selbst mit restauriert hat, sowie ein verlassenes Schloß aus der Übergangszeit der Spätgotik zur Frührenaissance und ein erhaltenes Wohngebäude des Mühlgutes von 1824. Als Denkmalschutzgebiet soll eine Wohnsiedlung mit Steiger- und Beamtenhäusern, Gasthof und Fabrikantenvilla aus der Zeit der Jahrhundertwende aufgenommen werden.

Große Sorge bereitet der Gemeinde die Erschließung von Gewerbegebieten, betonte Seiffert. Eigensinn der Mitteldeutschen Braunkohlen AG (MIBRAG), des derzeit größten Landbesitzers in der Region, hemme eine sinnvolle Wirtschaftsentwicklung im Ort. adn/taz