Die Volte des neuen deutschen Agentenromans

■ Peter Zeindler stellt sein Buch »Feuerprobe« vor

Kapitel 31. Nach der Geburt: Klein-Volker schreit verhältnismäßig viel. Das ist zwar für seine Umgebung lästig, aber es stärkt seinen Brustkorb und seine Lunge. 28. März 1937. Klein-Volker fängt an, selbständig zu gehen. Vom heutigen Tage an heißt er Volker! Februar 1938. Volker hat in letzter Zeit mit dem Sprechen große Fortschritte gemacht. Er bildet nun Sätze. Frauen gegenüber ist er mißtrauisch.

Später wurde Volker Agent. Agent des Staatssicherheitsdiensts. Frontarbeiter, Spion, Kämpfer für den Frieden. Volker ist kunstinteressiert, intellektuell und sprachbegabt. Er liebt Sabine und heißt Gerd Brenner und manchmal auch Dr. Paulsen. Sein Führungsoffizier nennt sich Rolf und sieht aus wie der Doge Leonardo Loredan auf dem Bild von Giovannis Bellini. Es ist Sommer 1990: Volker wird als Gerd Brenner enttarnt. Hat er eine Chance im vereinigten Deutschland?

Der Züricher Germanist Peter Zeindler hat jüngst seinen Roman »Feuerprobe« bei Arche vorgestellt. Nur unwesentlich unterscheidet sich der Duktus des Krimis von dem eben exerzierten Telegrammstil. Atemberaubend wird das Tempo dadurch freilich nicht. Ebenso bleiben die in bekannten Grenzen abgesteckten kriminalistischen Einfälle knapp und ohne Rasanz. Dem Schweizer Zeindler geht es auch gar nicht um eine hard-boiled-story und psychologische Finesse. Noch viel weniger geht es ihm um den »Krieg im Dunkeln«. Es geht um Agonie. Sowohl um die eines Staates, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existiert, als auch die seines Spitzelsystems, das ganz und gar nicht die Absicht hat, sich ebenso geräuschlos aus der Weltgeschichte davon zu machen. Volker Neumann — im Westen Gerd Brenner — will aussteigen. Daß ihm dies letztendlich auch gelingt, verdankt er weniger dem Einfallsreichtum seines Schöpfers, sondern wohl mehr der Realität, die für »Spezialisten« auf beiden Seiten immer einen Platz bereit hält.

Somit ist auch die Daseinsberechtigung des Romans abgesteckt. Es geht um den Alltag. Und der ist, sei er auch noch so grausam, doch ziemlich langweilig. Peter Zeindler kommt dieser Langeweile angestrengt auf die Spur. Er entdeckt, daß die neuen Bundesbürger Plastelatschen tragen oder Goldkettchen um haben und auf der Suche nach dem großen Glück sind. Soviel wasserdichte Langewile — zweifellos realitätsnah — produziert langweilige Personen. Und die haben in einem Thriller nichts zu suchen.

Peter Zeindler beschreitet einen literarischen Mittelweg, den nur Taschenbuchautoren begehen dürfen: seine aufgebaute Spannung verliert sich in der Anamnese des Spions Volker Neumann, und die wiederum ist so alltäglich, daß sie allenfalls eine Randfigur entstehen lassen dürfte. Oder aber Zeindler würde das breit ausgeleuchtete Sittengemälde eines Spitzelsstaates präsentieren. Doch das tut er nicht. Was er natürlich auch nicht muß. Immerhin nennt sich »Feuerprobe« bescheiden Roman. Doch diese Bescheidenheit darf nicht täuschen.

Zeindlers »Feuerprobe« bleibt denn Krimi, wenn er sich auch stilistisch anders gibt. Ständige Retros und Breaks liegen wie ein Waschzettel der eigenen und eigentlichen Handlung, die somit erklärt wird und ihre Ursache bekommt. Diese ist der Vater, der, wie anders, überzeugter Nazi war: Wir haben nur einen Willen — Sieg um jeden Preis! Klardoch. Zeindler beschreibt die (relative) Gegenwart in der grammatikalischen Vergangenheitsform, benutzt für die (absolute) Vergangenheit dagegen Präsens, versucht somit das Beklemmende des Kindheitsmusters herauszuarbeiten. Dieser beständige Rückgriff auf Muster und Zeit gibt dem Buch sein Schema. Allerdings erwächst dem Genre Krimi durch diese romaneske Stilistik lediglich (in diesem Fall) sein Umfang, nicht aber sein großer Atem. Vielleicht würde dieser auch schon an der umständlichen Klassifizierung »zeitpolitischer Agentenroman« zerbrechen.

Agent Volker ist allerdings einer, wie er im Buche steht. Zumindest in diesem. Und daraus liest Peter Zeindler heute um in der Herder Buchhandlung. Peter Zeindler wurde dreifach mit dem deutschen Krimi- Preis ausgezeichnet und gilt als erfolgreicher Hörspielautor. »Feuerprobe« wäre sicher ein gutes Hörspiel. Wegen der Dialoge. Volker Handloik

20 Uhr am Kurfürstendamm 69