Bewährte Bärte

■ Die Abräumprofis ZZ Top in der Waldbühne

Am Tage treibt sich keine Menschenseele auf dem stillgelegten Autofriedhof in der texanischen Wüste herum. Kurz vor Sonnenuntergang erscheint das Team der Nachtschicht. Ab und an nutzen die Metallarbeiter ihre Schrottpresse für einen Spaß besonderer Art. Sie laden ihre Freunde und spielen ihnen auf. Weiße Anzüge, weiße Gitarren, himbeerfarbene Schirmmützen — in dieser Kluft betreten sie heute das Werk. Langbart Bill Gibbons greift den ersten Akkord auf seiner Halbresonanz. Der Breitwandsound steht sofort. Welcome to the show — wir heißen immer noch ZZ Top, wir sind immer noch gnadenlos gut drauf. Am Bass wie gehabt Langbart Dusty Hill. Schnauzbartträger Frank Beard an den Trommeln der Nacht. Welcome and have a nice time!

Die drei Südstaatler gelten überall in der Welt als sichere Adresse in Sachen Hardrock, als eine Band, die ihr Publikum nicht im Stich läßt. Und so kam es, wie es kommen mußte. Die seit Wochen ausverkaufte Waldbühne füllte sich mit der Energie, die von der Bühne kam und schleuderte sie auf die Schrottpressenbesatzung zurück. Unbeeindruckt davon durchmaßen die Langbärte mit abgezirkelten Bewegungen ihren Arbeitsplatz. Irgendwann betraten sie ein Fließband, schritten aufeinander zu, drehten sich um die eigene Achse und ließen sich schließlich von der Bühne gleiten.

Der Schlagwerker im Überwachungsstand sah seinen Kollegen per Videoschirm zu, der in den Kühler eines abgewrackten Oldsmobile eingelassen war. Für die nun folgenden älteren Nummern fuhren die Soundfetischisten das Drumset auf, mit dem sie schon ihre LP Tres Hombres einspielten. 1973 erschienen, begründete dieses Album den Ruhm des Trios als »Champions des Texas Rock«. Dann verschwinden die Tops plötzlich. Fünfminütiges Industrial- Einspiel stimmt ein auf das, was jetzt zu kommen hat: die Show zu ihrer neuen Platte Recycler. Rote Anzüge, rote Hüte, goldene Gitarren bestimmten von jetzt an das Bild. Aus manch rauher Kehle entrang sich ein staunend-verzücktes Wow.

Aber anders wollte es niemand haben, die Liveshows der drei Hardrocker waren schließlich schon immer etwas aufwendiger. 1986 saßen sie im Cockpit ihres feuerroten Roadsters, der seither zu ihrem Markenzeichen wurde. Vielleicht aber sind auch für ZZ Top die Zeiten des unbegrenzten Automobilismus vorbei. Die Schrottpresse als Zeichen des Niedergangs und der Krise. Hier kann nur noch die Wiederverwertung helfen. Doch für Überlegungungen solcher Art läßt das Kraftpaket keinen Raum. Nach goldenen Gitarren gilt es, die mit Fell bedeckten weißen zu bewundern. Und zum Zugabenteil müssen es dann sogar knallegrüne sein, mit roten Blitzen drauf. Acht Schowgirls betreten hüftschwingend die Bühne, Viva Las Vegas! Wer‘s ernst nimmt, ist selber schuld. Als dann eines der herumstehenden Wracks ins Rutschen kommt und explodiert, muß alles vorbei sein. Erstaunt blicken sich die Waldbühnenbesucher an: Das war's dann wieder einmal. Mal sehen, was sie sich als nächstes einfallen lassen. Baumgartner