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Gepflegte Langeweile im Rathaus Schöneberg

■ Der Berliner Senat lud gestern zum Fernsehen ins Rathaus — ohne jedoch selbst zu erscheinen/ Fraktionsspitzen von SPD und CDU gaben schon den Geißler-Vorschlag als Erfolg aus/ Senat kommt heute zu einer Sondersitzung zusammen

Berlin. »Bitterfeld! Ich bin immer noch für einen Regierungssitz in Bitterfeld«, verkündet die grüne Abgeordnete Judith Demba ganz fröhlich. In ihrer Fraktion habe sie mit diesem Diskussionsanstoß allerdings keine Resonanz gefunden, räumt sie ein. Die ParteifreundInnen hätten sich glatt geweigert, die AL-Position in der Frage »Berlin oder Bonn?« noch einmal zu überdenken.

Demba stand gestern nicht nur in ihrer Fraktion, sondern auch unter den 241 Berliner Abgeordneten ziemlich alleine da. Nur eine weitere Grüne und acht PDS-Parlamentarier bekannten sich bisher als Berlin- Gegner. Alle anderen mußten gestern bangen, hoffen, fernsehgucken. Einige drehten den Kopf freilich rasch wieder gelangweilt weg. Eine »Zumutung« sei diese Diskussion im Bundestag, schimpfte Wirtschaftssenator Norbert Meisner. Als geborener Berliner sei er mit der Gewißheit aufgewachsen, bei der Wiedervereinigung werde Berlin wieder richtig Hauptstadt. Daß das nun in Frage gestellt wird, das erschüttert den Rest seines »Urvertrauens« in die Politik, das er sich angeblich bis heute bewahrt hat.

Für gepflegte Langeweile sorgte der Senat. Ab 17 Uhr lud er im Rathaus Schöneberg zu einem Stehempfang mit Fernseher und preußisch-kargen Schwarzbrothäppchen. Der CDU-Abgeordnete Volker Liepelt kämpfte mit dem Schwarzbrot und stöhnte gequält: »Ich warte nur, daß meine Magenschmerzen verschwinden.« Diese Beschwerden plagten ihn immer vor wichtigen Entscheidungen, vor Wahlen zum Beispiel.

In schlechter Stimmung waren ursprünglich auch Eberhard Diepgen und die Fraktionschefs Klaus Landowsky (CDU) und Ditmar Staffelt (SPD). Von den schlechten Aussichten in Bonn entnervt, gaben sie noch Mittwoch nacht die Parole aus, es sei als »Erfolg« zu werten, wenn der »Geißler-Vorschlag« durchkomme. Der Bundestag käme dann nach Berlin, die Regierung bliebe in Bonn. »Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach«, begründete Volker Kähne, Chef der Senatskanzlei, diese neue Berliner Bescheidenheit.

Eduard Heußen, Vizesenatssprecher, wollte das lieber mit dem alten Slogan eines der ärgsten Berlin-Gegner interpretiert wissen. »Versöhnen statt spalten«, sei die Devise. Heußen hat ein ganz persönliches Motiv, Friede zu predigen. Er lebte und arbeitete bis April noch in Bonn, und der Hauptstadtzank hat ihm schon Streit mit alten Freunden im Rheinland eingetragen. Aber auch Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien reitet neuerdings auf der weichen Welle. Den Vorschlag eines Bürgers, bei einem Pro-Berlin-Ergebnis triumphierend die Freiheitsglocke im Schöneberger Rathausturm läuten zu lassen, lehnte die Parlamentspräsidentin strikt ab.

Was tun am Tag danach? Diese Frage beschäftigte trotzdem viele Gemüter.

Der Senat wird sich heute auf jeden Fall zu einer Sondersitzung treffen. Falls Bonn obsiegt, erwägen CDU und SPD auch eine Sondersitzung des Abgeordnetenhauses am Montag. »Wir müssen nur aufpassen, daß das dann nicht so eine Trauerveranstaltung wird«, fürchtete ein SPD-Mann. Auf die Straße gehen und laut demonstrieren will keiner, nicht mal der immer aggressionsbereite Walter Momper. Nur Volker Liepelt mochte nicht ausschließen, sich in einen Demonstrationszug einzureihen. »Warum nicht?« fragte er. »Dann merkt man vielleicht, daß wir in Berlin gar nicht so cool sind.« hmt

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