Die Falle des Erfolgs

■ Die Frau als soche ist exklusiv, im Karrierefall besser und perfekter als jeder Mann. Von der Normalität bleibt sie mithin ausgeschlossen.

Die Frau als solche ist exklusiv, im Karrierefall besser

und perfekter als jeder Mann. Von der Normalität

bleibt sie mithin ausgeschlossen.

Von CHRISTEL DORMAGEN

E

ine der gnädigeren, um nicht zu sagen der behäbigeren Formen gnadenloser gesellschaftlicher Aschenputtel-Auslese: Wer darf diesmal Linse in der Asche sein? — findet sich wohl in der 'Zeit‘. Jahraus, jahrein stehen da, als Vorläufer der beliebten In- und Out-Listen, auf Seite 2 die „Worte der Woche“. Seit ich entdeckt habe, daß ich als genetisches Zufallsprodukt Frau mit einer nicht unbeträchtlichen Reihe gar nicht zufälliger Folgen dieser Chromosomenfügung zu rechnen habe, gucke ich gerne mal in jener Liste nach, wie out mein Geschlecht im Fortlauf der Zeit und der 'Zeit‘ gerade so ist. Und zwar geht es mir dabei um ganz simple Zahlenverhältnisse; nicht um Sätze über, sondern um solche von Frauen: Kommen die überhaupt vor als öffentliche Statementablasserinnen? Meine kleine stilistische Erhebung sagt: höchst selten. Und das in einem Blatt für die immer noch sogenannte Bildungsbürgerschicht, in der Frauen ja vergleichsweise gleicher sind, was Status, Gehalt, Lebensmöglichkeiten anbetrifft.

Wenn ich nun recht geschaut habe, liegt die letzte Ausgabe (bis zum Schreiben dieses Artikels), in der Frauen in jener Spalte was sagen durften, glatt vier Wochen zurück. Aber dafür sind zwei der zitierten Äußerungen auch aufs wunderschönste Sätze und Metasätze zugleich: 1. „Angesichts der schwierigen nationalen Lage ist momentan nicht der Zeitpunkt, das klassische Verständnis von Mann und Frau zu ändern. (Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen und Jugend)“; 2. „Das Muster meines Lebens wurde zerstört. Es ist, als ob man eine Glasscheibe mit einer komplizierten Landkarte darauf auf den Boden wirft und alle Gewohnheiten, Gedanken und Aktionen dabei zerstört werden. (Margaret Thatcher, britische Ex-Premierministerin, über die Zeit nach dem Verlust ihres Amtes)“.

Ganze Frauenbewegungszeitalter scheinen zwischen den zwei Frauen zu liegen. Merkel gehört eher in die Frühzeit: Nation geht vor Geschlecht; und das klingt geradezu kaiserlich nach: Ich kenne keine Parteien mehr... Thatcher hingegen ist ein Kind der Spätphase: Frauen können alles! — aber leider ist sie auch Repräsentantin der unliebsamen Männerfrau oder, noch schrecklicher, des Mannweibs. Das hat sie nun davon!

T

rotzdem eint etwas die beiden im Blick auf sich selbst; und das verbindet sie mit den 'Zeit‘-Zitatensammlern und schließlich auch mit mir, die ich mich so alarmiert auf diese Worte werfe. Wir sind alle offenbar vom, hochtrabend gesprochen, kategorialen Ausnahmezustand der Erscheinung Frau als solcher überzeugt. Da gibt es diese Gruppe mit den Merkmalen Möse und Brüste, die irgendwie auch im gesellschaftlichen Miteinander berücksichtigt werden will. So wie die Gruppe der Linkshänder oder die mit Ausländerinnen verheirateten Männer, die Kleinwüchsigen und die Radfahrer. Wenn's gut läuft, haben sie eine Lobby, die ihre Rechte einklagt; und wenn's prima läuft, haben diese Ausnahmen wieder ihre Ausnahmen: Napoleon war auch klein, und Thatcher ist auch eine Frau. Und wenn ein Gruppenmitglied öffentlich in Erscheinung tritt, dann als Funktionsträger oder als Repräsentantin, und alle Linkshänder etc. hören und sehen genau hin: Spricht er/sie auch wirklich für uns?

Ebenso verhält es sich mit den Frauen. Wenn eine von uns — nur off-stage reden wir in Ichform! — nicht-privat spricht, ist sie immer Stellvertreterin, Abgesandte der Gruppe „Frau“. Weswegen alle Lobbyistinnen und interessierten Auch-Frauen schärfstens aufpassen und immer schon mitzittern: Hat sie jetzt auch keine Scheiße gebaut und das Gruppenziel verraten, so daß wir sie leider ausstoßen müssen? Oder hat sie sich bei der normalen Mehrheit, den Männern also, lächerlich gemacht, so daß wir uns für sie schämen müssen? Gelungenes Beispiel solch eines multidesaströsen öffentlichen Satzes: „Antje Vollmer ist die Maggie Thatcher der Grünen“ (Jutta Ditfurth). Jeder öffentlich von irgendeiner Frau geäußerte Satz hat sich also vor einer imaginären feministischen Progressivitätsjury zu rechtfertigen: Ist er ideologisch sauber, nützt er uns, und ist er gut?

N

un unterliegen solche sozialen Sondergruppen auch immer, wie der Markt es will, wechselnden Moden. Da geht es zumal den Frauen einesteils wie dem, verwertungstechnisch gesehen, unverwüstlichen Sex (das liegt ja auch nahe). Was den anbetrifft, ist mal die Enthaltsamkeit schick, dann wieder das Rumvögeln, zwischendurch hartes Nehmen oder sanftes Puscheln und neuerdings die Treue. Die Frauen-Heilslehren, die abwechselnd angesagt waren, kennen wir aus verwirrender Erfahrung, zumindest aus gedruckten Botschaften. Andernteils widerfährt uns Frauen das Schicksal der Radfahrer. Erst hat sie keiner beachtet; und jetzt sind sie plötzlich der Trend.

Genau in diese Falle rennt auch die Düsseldorfer Frauenmesse mit ihrem Coverslogan: „Die starke Initiative der Zielgruppe dieses Jahrzehnts“. Das hat die Werbeagentur gewiß als selbstbewußten Witz formuliert. Trotzdem landet da die Mehrheit der Menschheit wieder in der Sonderabteilung: Markttrends der Neunziger. Das Programm dieser Messe kann sich übrigens wirklich sehen lassen. Nun hat das Ganze eben auch etwas Jahrmarkthaftes. Wenn der gemeinsame Nenner „Frau“ ist, kann sich halt die Arbeiterwohlfahrt neben Beate Thumulka-Mösers Modeschmuck und die Höhere Landespolizeischule „Carl Severing“ neben dem Mütterzentrum in den Messehallen feilbieten. Das hat was wollüstig Wuseliges, eben herrlich Weibliches. Nur ist die Buntheit Kehrseite der Beliebigkeit. Zur Verdeutlichung solcher Schieflagen hilft immer noch der alte Umkehrtrick: Was fällt Ihnen bei „Männermesse“ ein? Vermutlich, wie auch mir, was ganz Spezielles, irgendwie Schweinisches. Weil das Allgemeine — eine Messe für Männer — gar nicht denkbar ist.

Die Frauenmesse nun hängt sich an den Trend Frau. Karriere ist in; Erfolg ist schick. Nicht, daß Frauen sich nicht schon seit geraumer Zeit, auffällig oder unauffällig, mit Leistungen in frauenunüblichen Bereichen hervorgetan hätten. Das ist nicht der Punkt. Es geht vielmehr um die sogenannte zweite Wirklichkeit, die Welt der Verwerter, die den jeweils neuesten Diskurs produzieren. Denn erst was öffentlich gesprochen wird, ist wirklich. Das Medium definiert uns zum Ereignis. Deshalb warten natürlich auch schon die tollen Bücher toller Frauen über uns, die wir nun toll zu werden haben. Und funktionieren tut die Abwicklung der neuesten Frauenkür haargenau wie meinetwegen ehedem die Aerobic-Welle. Das erste Buch lautete dem Sinn nach: Aerobic ist klasse! Ihm auf dem Fuß folgte das zweite: Zuviel Aerobic ist gefährlich! Ebenso heißt auch das (nicht buchstäblich) erste Buch zur Karriere: Rückwärts und auf Stöckelschuhen von Benard/Schlaffer. Und das zweite — man muß die Zukunft und die nächste Welle im Auge behalten — trägt den Titel Zum Teufel mit der Superfrau (Michèle Fitoussi). Zur Probe je eine Passage Droge und Antidroge:

„Können Frauen so viel wie Männer? Amerikanische Feministinnen beantworten diese Frage mit einem ganz schlagfertigen Witz. Man müsse nur an Ginger Rogers und Fred Astaire denken, sagen sie. Fred Astaire wird als der große Tänzer gefeiert, aber Ginger Rogers konnte alles, was er konnte, ebenso gut. Nur konnte sie es rückwärts und auf Stöckelschuhen.“

„Hinterhältigerweise macht sich eine neue Form stiller Versklavung breit, die letzte Form weiblicher Unterwerfung. Die Superfrau, die aktive Frau, die alles kann und keine Fehler macht, ist das mythische neue Vorbild, dem Frauen folgen sollen. Sie ist ein höchst merkwürdiger Zwitter, eine Kreuzung aus einer harten Geschäftsfrau, einer ausgeflippten Mutter und dem scharfen Fotomodell mit einem Schuß Marilyn Monroe. So kommt sie auf uns zu, leistungsstark wie ein Computer mit Festplatte, tagsüber legt sie Chanel, abends Lagerfeld auf, die edel lackierten Fingernägel ruhen auf ihrem aktuellen Vorstandsbericht (lies: Plädoyer, Stethoskop oder Geschäftsbilanz), während die andere Hand das klebrige Pfötchen (der Schokoladenkuchen ist selbstgemacht, ganz klar) eines schmollenden Engelchens hält, den kußfest lippenstiftroten Mund drückt sie dem Mann ihres Lebens auf die Lippen, am einen Ohr telefonisch mit dem Supermarkt verbunden, am anderen die Direktleitung Paris-Tokio.“

D

as ist jeweils hübsch beschrieben, und ebenso flott und folgenlos lesen sich auch die Bücher. Die Sache hat nur leider wieder einen Haken. Nicht, daß uns da die fettesten Klischees um die Ohren geschlagen werden. Das geht schon in Ordnung. Denn die zweite Wirklichkeit besteht notwendig nur aus solchen. Der Haken ist, daß diese Klischees selber schon zweite Wahl sind. Wir kommen aus dem Teufelskreis nicht heraus. Im Gegenteil, wieder ist die Falle über uns zugeschnappt oder vielmehr, wir sitzen sowieso von vornherein drin. Der Referenzpunkt für die Lobby „Frau“ ist und bleibt der Mann, ob qua Negation oder qua Affirmation. Vor einiger Zeit dachten wir, wir würden ihn los, indem wir ganz anders sind. Jetzt ist das Überholen dran: Wir sind genauso, nur noch besser! „Frauen sind Spitze“, titelt die Messe in fröhlichem Gehorsam. Die alte Setzung: Mann gleich Normalität gleich Realität ist nicht zu überspringen. Wir bleiben das zweite Geschlecht. Bezeichnend für diese systematische Schizophrenie ist die Autorin des Superfrau-Buchs. Fitoussi ist Chefin vom Dienst bei der größten französischen Frauenzeitschrift und verurteilt im Buch ebensolche Zeitschriften, die uns all diese Klassefrauen mit ihren Klasseleben vor die Nase halten. Natürlich ist sie selber auch eine und weiß deshalb am besten, wovon sie schreibt: zwei prima Kinder, prima Mann, prima Job, prima Buch! Die Falle öffnet sich nur, weil die nächste, die größere schon wartet.

E

ine Lösung des Dilemmas wäre die banale allgemeine Utopie, daß Frauen irgendwann einfach nichts Besonderes mehr wären. Irgendeine könnte öffentlich etwas verkünden, und es wäre nur für sie selbst, nicht stellvertretend für mich. Und wenn ich Mist schreibe, müßte sich keine andere für mich schämen, weil ich nur in meinem Namen und nicht für die Frauen denke. Für den Mist hafte ich allein. Nur daß wir dann endgültig unsere kleine konkrete Utopie verloren hätten, die zur Zeit noch unser fallenbestückter Vorteil ist. Noch besitzen wir die Negativkategorie der Ungleichheit und damit wenigstens einen potentiellen Sinnproduzenten; wir können uns immer noch abarbeiten an dem, was nicht gerecht ist und nicht stimmt.

Während ich derart in dieser unauflösbaren Zwickmühle umhertorkele, fällt mein Blick auf einen Zettel, den ich mir jüngst an die Wand gepiekt habe. In der Bioladen-Gratiszeitung mit dem prachtvollen Jägermeisternamen „Schrot & Korn“, die mir unter anderem erklärt, warum ich mit dem richtigen Kakao nicht nur mir, sondern auch den Bolivianern guttue, fand ich letztens im Magazinteil eine kurze Nachricht, von der mir schleierhaft ist, wie sie da hingeraten ist. Sie lautet: „In China. Ein Mann hat eine ausschließlich von Frauen genutzte Schrift rekonstruiert. Die 600 Schriftzeichen sollen über 200 Jahre alt sein und nur von chinesischen Frauen verstanden und genutzt worden sein. Noch heute wird diese Schrift von einigen Frauen in der Provinz Hunan eingesetzt.“

Ich male mir aus, daß es vielleicht heilsam wäre, wenn wir auch solch eine nichtöffentliche Schrift nur für uns besäßen und interimsweise in dieses kryptische Mauseloch abtauchen könnten. Aber — Sie haben es gewiß bemerkt, die Nachricht ist leider mindestens ebenso hinterhältig wie der berüchtigte Knobelsatz „Alle Kreter lügen“. Ach ja, in China...