Konflikt um Zolleinnahmen lähmt Jugoslawien

■ Wer darf an den Grenzen kassieren?/ Wirtschaftsraum fällt auseinander

Belgrad (taz) — Zwischen der nordjugoslawischen Republik Slowenien und der Belgrader Bundesregierung entbrannte in diesen Tagen ein Zollkrieg, dessen Ende noch nicht in Sicht ist. Regierungschef Ante Markovic forderte von der „abtrünnigen“ Republik, die spätestens am 26.Juni ihre staatliche Unabhängigkeit ausrufen will, unverzüglich zurückgehaltene Zolleinnahmen von mittlerweise 100 Millionen Dollar abzuführen. Ansonsten drohe die zwangsweise Schließung slowenischer Zollämter. Selbst die Warnung Markovics steht im Raum, ansonsten mit „Hilfe der Armee mit allen Mitteln die jugoslawische Zollunion zu bewahren“.

Kernpunkt des Konflikts ist die Frage, welche Funktion dem Bundeshaushalt in einem „neuen“ Jugoslawien zugestanden werden soll. Die derzeitige Bundesregierung ignoriert die „Souveränitätserklärungen“ Sloweniens, Kroatiens und seit Anfang der Woche auch Mazedoniens, die das Zollwesen und die meisten anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik zur reinen Republiksache deklarieren. Der Bund habe sich darin nicht einzuimischen. Markovics Etatentwurf für 1991 dagegen sieht vor, daß die Republiken sieben Milliarden Dollar an den Bund abzuführen haben.

Die „abtrünnigen“ Republiken stört daran vor allem, daß von diesem Geld allein drei Milliarden Dollar an die Bundesarmee gehen und weitere 1,5 Milliarden zur Stützung der landwirtschaftlichen Produktion in Südjugoslawien eingesetzt werden sollen. Sie wollen in dem von ihnen angestrebten losen Staatenbund keine einheitliche Wirtschaftspolitik mehr. Zagreb und Ljubljana planen sogar eine eigene Währung und basteln fieberhaft an einer eigenen Nationalbank. Dafür sind mittlerweile erst 300.000 Dollar aufgebracht — zu wenig, um eine eigene Währung zu stützen.

Der Konflikt wird dadurch verschärft, daß die Republiken seit Monaten dem Bund Steuereinnahmen vorenthalten, die Bundesinvestitionen nahezu zum Erliegen kamen, die Inflation über die 100-Prozent- Marke gestiegen ist und der Schuldenberg von 17 Milliarden Dollar nicht abgetragen werden kann. IWF und Weltbank beharren ebenso wie die EG auf einer Trennung von Wirtschaft und Politik in Jugoslawien. In wirtschaftlichen Fragen sei allein Belgrad der Ansprechpartner. Der stellvertretende Weltbankpräsident Wapenhaus stellte kürzlich bei einem Besuch in Jugoslawien unmißverständlich klar: „Wie immer sich das Land politisch neugestalten wird, ein einheitlicher Wirtschaftsraum muß erhalten bleiben.“

Daß die nationalen Konflikte zwischen den Republiken sich zu einer wirtschaftlichen Katastrophe für ganz Jugoslawien auswachsen können, belegen auch die neuesten Buchungszahlen aus den Urlaubsgebieten an der Adriaküste. Um 82 Prozent weniger ausländische Besucher als im ohnehin schwachen letzten Jahr haben sich angemeldet. Die slowakische Zeitung 'Vjesnik‘ sprach von einer „touristischen Apokalypse“. Roland Hofwiler