PORTRAIT
: Vom Friedhof ins Himmelreich

■ Pablo Escobar, Chef des Kokainkartells von Medellin, war für viele Kolumbianer ein „Robin Hood“

Begonnen hatte er seine Karriere dort, wo die seiner Gegner oft genug endete: auf dem Friedhof. Der Kokainbaron Pablo Escobar, der sich nun der kolumbianischen Justiz stellte, buddelte in den 60er Jahren Grabsteine aus, schliff die Inschriften weg und verkaufte sie danach an Bestattungsinstitute. Später klaute er Autos, in den 70ern stieg er ins Drogengeschäft ein und hatte schon bald seine eigene Luftflotte, die die Paste aus den Urwäldern Perus und Boliviens in seine Heimat beförderte. Als Boß des Kokainkartells von Medellin war Pablo Escobar nicht nur der reichste sondern auch meistgesuchte Mann Kolumbiens.

Herr über Killerkommandos, die monatelang das Land terrorisierten, hatte Pablo Escobar seine Freunde ganz oben, im Parlament und im Staats- und Militärapparat, aber auch ganz unten, in den Elendsvierteln Medellins sitzen. In seiner Heimatstadt stiftete er Dutzende von Fußballplätzen für die Armen, ließ Hunderte von Häusern bauen, ja sogar ein ganzes Viertel trägt, zwar nicht offiziell, aber zumindest im Volksmund seinen Namen.

Jahrelang traten sich Regierung und Mafia nicht allzu sehr auf die Füße, im Gegenteil: Die Regierung richtete in der Zentralbank eine Sonderstelle ein, den „Schalter der Schande“, wo die Mafiosi ihre schmutzigen Dollar einzahlen konnten, die dann den Weg in den nationalen Wirtschaftskreislauf fanden und vor allem in der Baubranche zeitweilig zu einem beachtlichen Boom führten. Und auch im Kampf gegen die in weiten Teilen des Landes virulente Guerilla leisteten die Killertruppen der Kokainbosse mitunter wertvolle Dienste.

Zum Eklat zwischen Macht und Mafia kam es mit der Ermordung des populären liberalen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán, der in seiner Wahlkampagne einen harten Kurs gegenüber den Kokainbaronen versprochen hatte, im August 1989. Kurz danach schon ließ die Regierung landesweit Liegenschaften und Landsgüter der Mafia besetzen. Selbst eine ganze Insel wurde beschlagnahmt: das der Atlantikküste vorgelagerte Eiland La Palma. Es war im Besitz von Pablo Escobar, verfügte über einen eigenen Yachthafen, ein Spielcasino und mehrere Diskotheken. Tausende von Personen wurden — in der Regel vorübergehend — festgenommen und Dutzende Drogendealer festgesetzt. Die Nummer drei des Kartells von Medellin, Gonzalo Rodriguez Gacha, genannt „der Mexikaner“ wurde bei einer Razzia erschossen.

Die Mafia schlug zurück: Sie überzog das Land mit einem beispiellosen Bombenterror, schickte ihre Killerkommandos aus und entführte Politiker, Richter, Journalisten und Polizisten. Erst das Angebot des neuen Präsidenten César Gaviria vom vergangenen Jahr, reuige Drogenhändler nicht an die USA auszuliefern und ihnen Strafmilderung zukommen zu lassen, brachte die Wende. Zahlreiche kleinere und mittlere Kader der Drogenindustrie stellten sich freiwillig den Behörden, und im Januar ergab sich auch die Nummer zwei des Drogenkonzerns, Jorge Luis Ochoa.

Die Nummer eins, Pablo Escobar, hatte die Kapitulation schon Ende Mai angekündigt. Über den 84jährigen Eudisten-Pater Rafael Garcia Herreros, der seit Jahren in der sehr populären Fernsehsendung Die Minute Gottes die Reichen bittet, auch an die Armen zu denken, trat der Drogenboß in Kontakt mit der Regierung. Was zwischen Ober- und Untergrund da ausgehandelt wurde, wird der Pater wohl nicht verraten. Sicher ist nur, daß Escobar offenbar um seine physische Unversehrtheit bangte. Ein Gebäude, das 120 Kokainsüchtigen als Rehabilitationszentrum dienen sollte, wurde in aller Eile in ein Hochsicherheitsgefängnis für den Kokainbaron umgebaut.

Escobars neues Zuhause liegt in Envigado. Die 100.000-Einwohner-Stadt, die nicht unweit von Medellin liegt, hat — den Koka-Dollar sei Dank — das höchste Pro-Kopf-Einkommen Kolumbiens, verfügt über zwei Universitäten und bietet 98 Prozent seiner Haushalte Trinkwasser. Hundert Leibwächter und zwei mehrere hundert Meter breite mit Videokameras, elektrisch geladenem Stacheldraht und Wachtürmen gesicherte Todesstreifen sollen den prominenten Häftling vor einem Attentat seiner Rivalen schützen. „Ich bin bereit, Pablo Escobar bis zu den Pforten des Himmels zu führen“, hatte Pater Garcia Herreros seinem Fernsehpublikum sybillinisch verkündet. In seinem Himmelreich, dem „Hotel Don Pablo“ wird Escobar sich im Swimming-Pool abkühlen, wenn er verschwitzt aus dem Fitness-Center kommt. Und er wird auch einen eigenen Koch haben und gewiß nicht schlechter essen als Gott in Frankreich. Thomas Schmid