»Herrlich freches« Garbo-Dietrich-Surrogat

■ Zum 10. Todestag von Zarah Leander, der Diva an der Heimatfront

Oktober 1984. Die Wiener Volksoper ernennt Johannes Heesters zum Ehrenmitglied, als Dank für 50 Jahre Bühnenarbeit. Einzig ein Verein ehemaliger Widerstandskämpfer feiert nicht mit, sondern protestiert. Sie können nicht vergessen, daß der populäre Operettensänger 1941 vor der SS Wachmannschaft des Konzentrationslagers Dachau ein Konzert gegeben hat. 1984 in Wien schickt der 81jährige seine Tochter vor, alles zu entschuldigen: Ihrem Vater seien Häftlinge vorgeführt worden, denen es offensichtlich gut gegangen sei, sagt sie. Und: »Was dort wirklich geschah, wußte damals niemand.«

Juni 1942. Der Film Die große Liebe hat Premiere, in der Hauptrolle Zarah Leander, des Deutschen Reichs prominenteste Schwedin. In einer Szene des Films steht der tiefgekühlte Vamp ganz hochgeschlossen da und fast ohne Make-up, und dirigiert, ganz Mutti voll berstender Lebenskraft, einen Haufen strahlender, kerngesunder Landser. Sie gibt den Ton an, alle schunkeln und singen mit: »Davon geht die Welt nicht unter.« Das rechte Lied zur Sommeroffensive an der Ostfront. Die große Liebe wird zum meistgesehenen deutschen Film, 27 Millionen Zuschauer in nur einem Jahr. 30 Jahre später erinnert sich Zarah Leander in ihrer Autobiographie: »Wir haben überhaupt nicht gewußt, was um uns herum passierte.« Man sei zu beschäftigt gewesen und an Politik überhaupt nicht interessiert.

Zarah Leander, seit zehn Jahren tot, lebt weiter, als Mythos, Kult und propere Erinnerung an schöne Stunden im tiefsten Dreck. Sie war der Ufa größter Star, mit fast einer halben Million Reichsmark Jahresgage, 53 Prozent davon auszuzahlen in Devisen auf ein schwedisches Konto. Und sie war die einzige Schauspielerin, die im versiegelten Deutschland kommen und gehen durfte, wie sie wollte. Gekommen war die Leander 1936, zu einer Zeit, als viele schon gegangen waren: Billy Wilder, Max Ophüls, Douglas Sirk. Und andere. Da kam die stattliche Schwedin mit der tiefen Stimme und einem Akzent voller Geheimnis gerade recht. Die Herren im Reich hatten den Diva- Stuhl neu zu besetzen, denn Marlene Dietrich weigerte sich, auch nur einen Fuß noch in dieses Land zu setzen, und Greta Garbos deutsche Zwischenstation auf dem Weg nach Hollywood lag schon weit zurück.

Die Leander wurde zum Garbo- Dietrich-Surrogat, trotz lukrativer Angebote aus England und USA. Die lehnte sie ab, wegen Sprachschwierigkeiten, sagte sie, und weil sie so nahe wie möglich bei ihrer Familie arbeiten wollte. Ein Privileg in dieser Zeit. Darüber dachte die Reichs- Diva nicht nach, jedenfalls ist nichts davon überliefert. Aber an ihre Begegnungen mit den braunen Größen erinnert sie sich mit unbekümmertem Stolz. Mit Hitler habe sie über dessen Schwierigkeiten geplaudert, seine Haartolle zu bändigen, und bei Goebbels riskierte sie gar eine kesse Lippe. »Sie sind so herrlich frech«, soll der daraufhin parliert haben.

Aber als die Kasse nicht mehr stimmte, verließ die Schwedin die generöse Zweitheimat. 1943 wollte man ihre Gage nicht mehr in Devisen ausbezahlen, außerdem sollte sie Staatsschauspielerin werden mit eigenem Gut in Ostpreußen, doch keinem Besitz mehr in Schweden. Das war der kühlen Rechnerin Verpflichtung zuviel, sie zog sich zurück auf ihren, 1939 vom Ufa-Geld erworbenen Gutshof Lönö in Schweden. Die braunen Gastgeber pikiert: »Zarah ist entschwunden. Sie ist davongefahren, als bei uns diese Wiese der Erotik abgegrast und genug Geld verdient war. Man kann sie zwar noch ausleihen und mit ihr evtl. Devisen erobern, aber wir sind vor neuen Filmen bewahrt und die deutsche Frau kann wieder Atem holen«, schrieb Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und oberster Polizei- Chef, der Undankbaren hinterher.

Mit der Rückkehr war die Karriere der Leander erst einmal beendet. Sie bekommt Auftrittsverbot, die schwedische Öffentlichkeit verzeiht ihr nicht die Nazi-Karriere. Beleidigt züchtet sie Schweine und beschimpft die schwedische Presse als »Volksgerichtshof«. Nach dem Krieg singt sie wieder, zunächst in Italien, Griechenland, Ägypten, Südamerika und Island. 1949 darf sie zurück auf schwedische Bühnen, die Alliierten in den deutschen Landen ziehen nach und erlauben die ersten Auftritte im alten Erfolgsgebiet. Den kritischen Stimmen diktiert der Star schon 1949 die Leviten in die Journalistenfeder: »Ich sage offiziell allen meinen Freunden, aber auch allen Neidern, daß ich alle Gerüchte dementiere. Ich sage dies nur einmal und niemals wieder. Ich werde nicht mehr darüber sprechen, denn es ist mir zuwider.«

Das Selbstbewußtsein imponiert den Deutschen, so einfach lassen sich die Fragen nach Schuld und Mittäterschaft erledigen. 'Die Zeit‘ dankt ihr dafür 1949: »Es gibt im Ausland Leute, die ihr das Unrecht antun und sagen, sie habe mit den Nazis paktiert. Welcher Unsinn! Sie hat Filme gemacht, sonst gar nichts... Und auch daran ist nicht zu rütteln, daß es heute mutig und charmant von ihr ist, die Deutschen jetzt zu besuchen, wo wir so gar keine Beliebtheit und kein Ansehen genießen...«

Homosexuelle Männer bewiesen der Leander ganz besondere Treue. Zwar hatte sie für diese Verfolgten des Dritten Reiches nichts getan, wofür ihr Dank gebührte, doch die Schwulen hielten sich trotzig fest an der Boa-Schürze dieser Frau. Die Leander war so viel für sie: Strenge Mutter und doch Vamp, gebrochen und doch stark, fast zwischen den Geschlechtern und doch von den Männern begehrt. Ihre Erfolge Kann denn Liebe Sünde sein? und Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n klangen beinahe wie Hymnen einer schwulen Befreiungsbewegung. Tatsächlich war in den 50er und 60er Jahren jedes Leander-Konzert ein subversiver Homotreff. So wenig Möglichkeiten es gab zu Paragraphenzeiten, öffentlich zusammenzukommen — hier passierte es ganz vertraut und ohne Angst.

Die Schwulen hielten zu ihr bis zum Schluß. Jede »Abschiedstournee« — und es gab viele davon — machten sie mit. Selbst beim allerletzten Absturz zur »Kaffeefahrt ins Blaue« wachten sie wacker über jede schwache Bewegung und jeden kläglichen Ton der alternden Künstlerin.

Die Leander heute ist Nostalgie, ziemlich pur. Erinnerungen an etwas Großes, irgendwie Ufa, irgendwie Babelsberg, mit Liedern, die Kraft hatten und ein bißchen Sinn.

Weiter lebt auch die hausbackene und zugleich profitable Ideolgie dieser unverwüstlichen Stimmungsaufheller. Die Berufsgruppe der Unterhaltungskünstler, die — einst wie jetzt — so furchtbar darunter leidet, daß ihr jeder sofort einen IQ unterhalb jedweder Schamgrenze zubilligt, brüstet sich beharrlich mit ihrer Abstinenz von jeglichem politischen und verantwortlichen Denken und Handeln. So als sei der Beruf nicht auszuführen, wenn ein Funke Verstand dazwischenblitzt. Die braunen Entertainer, die im KZ sangen, an der Front oder auf großer Revuetreppe über Bombenschutt, wurden als erste rehabilitiert. Sie haben Maßstäbe gesetzt für eine Tradition, die heute so vital ist wie damals. Elmar Kraushaar

Unter dem Motto Ein Mythos lebt ist Zarah Leander als Buch (240 Seiten, 49 DM), als CD (Electrola), in Zelluloid (22.6.-3.7. in der Filmbühne am Steinplatz) und in Form einer Ausstellung (22.6.-1.7. im Landesarchiv, Kalckreuthstr. 1-2, Berlin 30